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    LVG  HANNOVER, Urt. v. 24. 2. 1955 - A IV 203/54

25. Friedhofsrecht, VO über Baugestaltung v. 10. 11. 1936
§ 1
(Gestaltung von (Grabdenkmälern)

a) Der im Eigentum einer Kirche stehende, mit Benutzungszwang ausgestattete einzige Friedhof eines Ortes ist eine öffentliche Anstalt, auf die die für öffentliche Anstalten allgemein geltenden gesetzlichen Vorschriften Anwendung finden.

b) Der Benutzer dieser Anstalt kann die von ihr erlassenen Verfügungen im Bereich der MRVO Nr. 166 nach deren Vorschriften anfechten und den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten beschreiten.

c) Selbst wenn man annimmt, daß die Verwaltung eines seit langem bestehenden Friedhofes die Gestaltung der Grabstätten und Grabmale auch auf dem Gebiete regeln darf, das zwischen dem für die Erfüllung des Anstaltszweckes Notwendigen einerseits und den unabdingbaren Rechten der Friedhofsbenutzer andererseits liegt, darf ihre Regelung nicht weiter gehen, als dies erforderlich ist, um eine Gestaltung sicherzustellen, die das Empfinden des für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters, also des sog. Durchschnittsmenschen, nicht verletzt.

LVG HANNOVER, Urt. v. 24. 2. 1955 - A IV 203/54

Die Kl. stellte bei der Verwaltung des in dem Eigentum der Kirchengemeinde X. stehenden Friedhof es ihres Wohnortes den Antrag, ihr die Aufstellung eines Grabsteines aus blank poliertem schwarzen schwedischen Granit zu erlauben. Dies lehnte die Friedhofsverwaltung mit der Begründung ab, die Friedhofsordnung verbiete die Aufstellung von Grabsteinen aus blank poliertem schwarzen Material. Da der beklagte Kreiskirchenvorstand über die Beschwerde der Kl. nicht entschied, beschritt diese den Verwaltungsrechtsweg. Die Klage führt zur Aufhebung der angefochtenen Verfügung und zur Verurteilung des Bekl.

Aus den Gründen: Die Kirchengemeinde hat am 2. 2. 1950 eine Kirchhofsordnung” erlassen und damit ihrer Verpflichtung genügt, die später durch § 1 der Rechtsverordnung des Landeskirchenrates der evangelisch-lutherischen Landeskirche Y. v. 29. 5. 1951 (Kirchenamtsblatt S. 53, abgedruckt bei Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 1954, S. 567) begründet worden ist. Danach muß in dem Bereich der Landeskirche für jeden kirchlichen Friedhof eine Kirchhofsordnung” vorhanden sein, ,,die den von dem Landeskirchenamt erlassenen Bestimmungen entspricht”. Nach § 3 dieser Rechtsverordnung darf ,,kein Grabmal. . . ohne vorherige Zustimmung des Kirchenvorstandes errichtet werden”. Dem entspricht § 17 der Kirchhofsordnung, wonach ,,Grabdenkmale” nur mit Genehmigung des Kirchenvorstandes aufgestellt werden dürfen. Nach § 7 der Rechtsverordnung kann gegen die Versagung der Genehmigung innerhalb einer Frist von einem Monat Beschwerde bei dem Kreiskirchenvorstand und gegen dessen schriftliche Entscheidung innerhalb der gleichen Frist ,,weitere Beschwerde bei dem Landeskirchenamt” erhoben werden. Von dieser Vorschrift hat der Ehemann der Kl. Gebrauch gemacht, indem er durch den ihm mit der Aufstellung des Grabsteines beauftragten Steinmetz gegen die seinen Antrag ablehnende Verfügung v. 7. 11. 1953 bei dem Kreiskirchenvorstand Beschwerde einlegen ließ.

Die in § 7 der genannten Rechtsverordnung vorgesehene Beschwerde ist eine Beschwerde im Sinne des § 49 MRVO Nr. 165. Daß die Vorschriften der MRVO Nr. 165 auf die Beziehungen zwischen einem Benutzer des Friedhofes in X. und der Friedhofsverwaltung Anwendung finden, ergibt sich aus der Rechtsnatur dieses Friedhofes als einer öffentlich-rechtlichen Anstalt.

Es mag dahingestellt bleiben, ob ein kirchlicher Friedhof im Hinblick auf den Rechtsweg dann einer besonderen Behandlung bedarf, wenn in der Gemeinde ein der Benutzung durch jedermann offenstehender anderer Friedhof vorhanden ist. Auf jeden Fall wird durch die MRVO Nr. 165 dem Benutzer eines kirchlichen Friedhofes dann Rechtsschutz vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit gewährt, wenn dieser der einzige Friedhof der Gemeinde ist, wenn die Einwohner der Gemeinde zumindest rechtlich gezwungen sind, diesen Friedhof zu benutzen, und wenn die Kirchengemeinde als die Eigentümerin und Verwalterin des Friedhofes als einer öffentlich-rechtlichen Anstalt also insoweit eine Monopolstellung einnimmt. Denn indem die Kirchengemeinde den Friedhof als die öffentliche, mit Benutzungszwang ausgestattete Einrichtung der Allgemeinheit zur Bestattung der Toten zur Verfügung stellt und der politischen Gemeinde obliegende öffentlich-rechtliche Aufgaben übernimmt, begibt sie sich mit dieser Anstalt auf ein Gebiet, das dem Bereich der öffentlichen Verwaltung angehört und in dem grundsätzlich alle Vorschriften des öffentlichen Rechts in Geltung stehen, deren Tatbestand auf diesem Gebiet eine Verwirklichung findet. Dies bedeutet, daß die rechtlich erheblichen Handlungen der Friedhofsverwaltung Verwaltungsakte im Sinne des § 25 Abs. 1 darstellen, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Da die Kirchengemeinde insoweit, als sie über die Rechte und Pflichten der Benutzer des Friedhofes befindet und diesen gegenüber Verfügungen erläßt, als Trägerin der öffentlichen Anstalt, also nicht als die Amtsstelle einer Religionsgesellschaft tätig wird, findet auf diese Verfügungen Abs. 2 von § 25 MRVO Nr. 165 keine Anwendung, wonach die Amtsstellen der Religionsgesellschaften keine Verwaltungsbehörden sind (Klinger, MRVO Nr. 165, 1953 § 25 Erl. D 5 S. 200). Wenn aber die rechtlich erheblichen Handlungen der Verwaltung eines mit Benutzungszwang ausgestatteten kirchlichen Friedhofes Verwaltungsakte im Sinne des § 25 MRVO Nr. 165 darstellen, so können sie nach den Vorschriften der MRVO Nr. 165 mit den in ihnen vorgesehenen Rechtsmitteln angefochten werden (Bachof, Rechtsgutachten über die Zulässigkeit von Beschränkungen der Grabmalgestaltung usw., Sonderdruck, herausgegeben von dem Bund für Denkmalgestaltung in Frankfurt a. M., S. 27 ff.; derselbe, Rechtsnatur, zulässiger Inhalt und gerichtliche Anfechtung von Friedhofsordnungen, AÖR 78. Bd., 1952/53, S. 82 ff., 2. 92 f.; Gaedke, aaO S. 56, besonders Anm. 147 mit weiterer Jud.; das Urt. des BVerwG v. 17. 12. 1954, V C 27/54, DVBl. 55, 323 = NJW 54, 725, betrifft im Zusammenhang mit der Verpflichtung, die Kirchensteuer zu zahlen, die Zugehörigkeit zu einer evangelisch-lutherischen Landeskirche; das Urteil des Schlesw.-Holst. OLG v. 29. 12. 1954, 2 U 88/55, DVBl. 55, 675, betrifft die dienstrechtliche Stellung eines Pfarrers gegenüber einer Kirchengemeinde, beide Entscheidungen sind daher hier nicht zu verwerten).
 

Die Klage ist auch begründet.

Die Kirchengemeinde X. hat ihre den Antrag der Kl. ablehnende Verfügung v. 7. 11. 1953 auf die von ihr aufgestellte ,,Kirchhofsordnung” v. 2. 2. 1950 gestützt. Diese findet ihre Rechtsgrundlage seit dem 29. 5. 1951 in den Vorschriften der ,,Rechtsverordnung über die Verwaltung eines Kirchhofes” vom gleichen Tage, im besonderen in deren § 1, darüber hinaus aber auch in der der Kirchengemeinde als der Trägerin des Friedhofes zustehenden Anstaltsautonomie (Bachof, Rechtsnatur usw. S. 85; Gaedke, aaO S. 48; OLG München, Urt. v. 9. 5. 1952, 5 15 703/51, DVBl. 52 S. 529, S. 530 unter II). Die genannte Rechtsverordnung und die Anstaltsautonomie enthalten für die Kirchengemeinde zugleich die Ermächtigung, die Kirchhofsordnung zu erlassen und ihren Inhalt zu bestimmen. Die Grenzen dieser Ermächtigung ergeben sich aus der Zweckbestimmung der Anstalt als des alleinigen, in der

politischen Gemeinde X. bestehenden, mit Benutzungszwang ausgestatteten kirchlichen Friedhofes. Da der Zweck eines Friedhofes nach Herkommen, allgemeiner Anschauung und ständiger, durch die Träger angewendeter Praxis darin besteht, nicht nur eine angemessene und geordnete Leichenbestattung zu ermöglichen, sondern auch die Toten durch eine würdige Ausgestaltung und Pflege der Gräber sowie durch den Besuch der Grabstätte zu ehren (RG, Urt. v. 25. 4. 1938, RGZ 157, 246 ff., 255), kann und muß eine Friedhofsordnung jedenfalls für solche Friedhöfe, die eine Monopolstellung einnehmen und mit Benutzungszwang ausgestattet sind, auch Bestimmungen enthalten, die die Totenehrung und im besonderen in ästhetischer Hinsicht die Grabstätte und den Grabstein zum Gegenstand haben. Sie kann also, wie dies wohl ausnahmslos geschieht und überwiegend für zulässig gehalten wird, die Errichtung eines Grabmals von der Erteilung einer Genehmigung und diese wiederum davon abhängig machen, daß im Hinblick auf die äußere Gestaltung bestimmte, allgemein oder für den konkreten Fall festgelegte Voraussetzungen erfüllt werden. Daß der auf Grund der Anstaltsautonomie auf diesem Gebiet erfolgenden Regelung Grenzen gezogen sind, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß dem Staatsbürger auch als Benutzer des Friedhofes in dem Bereich der Totenehrung Rechte zustehen, deren Beschränkung nicht oder nur insoweit zulässig ist, als dies gesetzlich vorgesehen ist, etwa die Grundrechte in Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 GG. Die erkennende Kammer brauchte nicht zu untersuchen, ob diese Grenzen dadurch bestimmt werden, daß die Anstaltsherrin, hier also die Kirchengemeinde, auf dem Gebiet der Gestaltung der Grabstätte und damit des Grabmals nur insoweit bindende Regeln aufstellen darf, als dies zur Erfüllung des Anstaltszweckes notwendig ist (so - Bachof, Zulässigkeit usw. S. 13/14, 20/21), oder ob sie darüber hinausgehen und in ästhetischer Hinsicht vielleicht auf einem Gebiet eingreifen darf, das zwischen dem für die Anstalt Notwendigen einerseits und. den unabdingbaren Rechten des Friedhofs-benutzers andererseits liegt. Die Kammer brauchte sich auch nicht damit zu beschäftigen, ob der Maßstab, der der generellen oder konkreten Entscheidung über das ästhetisch Notwendige oder Zulässige zugrunde zu legen ist, in dem Empfinden der jeweiligen Benutzer des Friedhofes oder ihrer Mehrheit zu suchen ist, wie der Bekl. annimmt, oder ob darüber hinaus auch das Empfinden der Allgemeinheit berücksichtigt werden muß; in diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß die Gestaltung eines Friedhofes Interesse nicht nur bei denjenigen findet, die ihn schon benutzen, sondern auch bei denjenigen, die vielleicht einmal seine Benutzer sein werden. Zudem wird ein Friedhof nicht nur von seinen Benutzern in einem engeren Sinn, sondern auch von denen aufgesucht, die, ohne darin ,lustwandeln” zu wollen (so Bachof, Zulässigkeit usw. S. 19 unter 5a), an einer Totenehrung teilnehmen wollen oder in ihm die Ruhe und Stille suchen. Diese gerade für die Gegenwart und für die größere Stadt etwa gebotene Auffassung von der Zweckbestimmung eines Friedhofes könnte es als bedenklich erscheinen lassen, ihn im Hinblick auf die Gestaltung seiner Grabstätten einer isolierten Betrachtung zu unterziehen in dem Sinne, daß der Maßstab für das geschmacklich Notwendige und Zulässige in der Anschauung allein der Benutzer zu finden sei. Schließlich konnte es die Kammer dahingestellt sein lassen, ob bei der Festlegung des für die Gestaltung der Grabstätte Notwendigen und Zulässigen die Grundsätze Anwendung finden dürfen oder müssen, die in § 1 der Verordnung über Baugestaltung v. 10. 11. 1936 (RGBl. I 938) enthalten und von der Rechtsprechung, Lehre und Praxis weiterentwickelt worden sind, wobei sowohl diese Vorschrift (BVerwG, Urt. v. 28. 6. 1955, I C 146/53, DVBl. 55, 640 = NJW 55, 1647) als auch eine auf Grund gesetzlicher oder gewohnheitsrechtlicher Ermächtigung erfolgende Anstaltsregelung (Bachof, Rechtsnatur S. 87/88, Zulässigkeit usw. S. 21) das Empfinden ,,des für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters, also des sog. gebildeten Durchschnittsmenschen”, für die Bildung des Maßstabes mitbestimmend sein lassen müssen. Auf jeden Fall konnte der Klage der Erfolg auch dann nicht versagt werden, wenn man annimmt, daß die Kirchengemeinde X. befugt war, die Gestaltung der Grabstätten auf ihrem Friedhof auch insoweit an eine Regelung zu binden, als sich dies aus der Anwendung eines Maßstabes ergibt, der unter Berücksichtigung des Empfindens nicht nur der Friedhofsbenutzer, sondern der Allgemeinheit und unter Verwertung der weiteren in § 1 der Baugestaltungsverordnung enthaltenen Gedanken gebildet wird.

Nach § 17 Abs. 1 der Kirchhofsordnung der Kirchengemeinde Y. sind ,,die vom Kirchenvorstand getroffenen Anordnungen, die sich auf Werkstoff, Form und Abmessung sowie Bearbeitungsweise der Grabdenkmale... beziehen, zu beachten”. Nach Abs. 2 sind ,,die in den Richtlinien für die Gestaltung des Kirchhofes aufgeführten Gesichtspunkte” ,,für die Genehmigung von Grabdenkmalen” ,,maßgebend”. Diese ,,Richtlinien” sind von der Kirchlichen Kammer der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Y. für Friedhofsgestaltung und Grabmalpflege aufgestellt und am 1. 6. 1949 von dem Landeskirchenamt herausgegeben worden. Durch § 17 Abs. 2 der Kirchhofsordnung sind sie zu deren Bestandteil geworden. Nach diesen Richtlinien soll sich das Grabmal ,,dem Gesamtbild harmonisch eingliedern” (Nr. 38) und seine Wirkung ,,durch Güte und werkgerechte Bearbeitung des Werkstoffes” ,,schöne Form”, ,,gute Fassung des Textes”, ,,gute Schriftform” und ,,gute Schriftverteilung” erhalten (Nr. 41). Ferner sollen ,,alle in der Farbe auffallenden und unruhigen Gesteinsarten vermieden werden” (Nr. 42), ,,die Bearbeitung der Grabdenkmale muß auf allen Seiten gleich einheitlich durchgeführt werden”, wobei als ,,dessen äußerster Bearbeitungsgrad . . . der Mattschliff zulässig” ist (Nr. 43). Schließlich sind nach Nr. 45 ,,nicht zu gestatten a) tiefschwarze und diesen gleich zu achtende Werkstoffe in spiegelnder polierter Bearbeitung sowie hellweiße Werkstoffe” und ,,b) Natursteinsockel aus anderem Werkstoff, als er zum Grabmal selbst verwendet wird”.

Es kann unerörtert bleiben, ob die Friedhofsordnung der Kirchengemeinde X. diese ,,Richtlinien” nur als solche übernehmen oder ihnen die Bedeutung von Regeln geben wollte, die der Entscheidung über Genehmigungsanträge als verbindlich zugrunde zu legen seien, denn die den Antrag der Kl. ablehnende Verfügung des Kirchenvorstandes v. 7. 11. 1953 läßt sich in keinem Falle aufrechterhalten.

Wie bereits dargetan wurde, konnte die Kirchengemeinde die Erteilung der Genehmigung für die Aufstellung von Grabdenkmalen und damit Grabsteinen im Hinblick auf deren äußere Gestaltung nur davon abhängig machen, daß diese mit dem Empfinden des für ästhetische Eindrücke empfänglichen Durchschnittsbenutzers des Friedhofes oder Durchschnittsmenschen überhaupt zu vereinbaren waren. Dieser Maßstab bedeutete zugleich eine Grenze für die Regelung auf Grund der Anstaltsautonomie. Da sie nicht überschritten werden kann, ist es unerheblich, ob sie in § 17 Abs. 2 der Kirchenordnung und damit in den ,,Richtlinien” ausdrücklich oder stillschweigend enthalten ist; sollte dies nicht der Fall sein, so würde eine weitergehende Einschränkung der Freiheit des Friedhofsbenutzers in der Totenehrung rechtlich keine Wirkung haben können.

Danach konnte der Kirchenvorstand in X. den Antrag der Kl. nur dann ablehnen, wenn das von ihr gewünschte Grabdenkmal nach seiner Aufstellung das ästhetische Empfinden des gebildeten Durchschnittsbenutzers oder Durchschnittsbetrachters verletzen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall.
 

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