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Quelle: Sozialrecht + Praxis 1999, S. 18 ff.

Schutz von Bestattungsguthaben

Zugriff des Sozialhilfeträgers rechtswidrig und unpraktikabel

Von Dr. jur. Tade M. Spranger, Bonn

Ist es einem Erben nicht zumutbar, daß er seiner aus § 1968 BGB resultierenden Pflicht zur Tragung der Bestattungskosten genügt, so werden die erforderlichen Bestattungskosten gemäß § 15 BSHG durch den Sozialhilfeträger übernommen. Dabei ist der in § 15 BSHG genannte Begriff der ,,erforderlichen Kosten" grundsätzlich enger zu verstehen als die ,,Kosten einer standesgemäßen Bestattung" nach § 1968 BGB1. Um dem Kriterium der Angemessenheit zu genügen, reicht es folglich aus, daß die Bestattung in einfacher, aber würdiger und ortsüblicher Form erfolgt2. Rechtsprechung und Literatur haben im Laufe der Jahre zumindest schwerpunktmäßig herausgearbeitet, welche Elemente einer Bestattung noch durch § 15 BSHG erfaßt werden, und welche Bestattungsmodalitäten bereits den Rahmen sprengen. So gehören nach überwiegender Auffassung zu dem zu übernehmenden Aufwand neben der Beschaffung der Grabstelle auch die Leichenbeförderung, die Bereitstellung der Leichenkleidung sowie eines einfachen Sarges oder einer Urne, die öffentlich-rechtlichen Gebühren, die Gebühren für das Grabgeläute3 und das Orgelspiel bei der Trauerfeier, ferner die Kosten Für die Erstbepflanzung und für einen Grabstein4.

Eine Übernahme dieser Kosten durch den Sozialhilfeträger kommt jedoch nur bei Vorliegen einer weiteren wesentlichen Voraussetzung in Betracht: dem Hinterbliebenen, der sich auf einen Anspruch aus § 15 BSHG beruft, kann es nach Auffassung der Rechtsprechung zunächst zugemutet werden, zum Zwecke des zu begleichenden Bestattungsaufwandes diejenigen Mittel zu verwenden, die ihm durch den Tod der bestatteten Person zugeflossen sind5. Die Befolgung dieser Pflicht wird jedoch häufig durch den zuständigen Sozialhilfeträger vereitelt, indem auf Guthaben, die der Verstorbene noch zu Lebzeiten zur späteren Finanzierung seiner eigenen Bestattung angelegt hat, bereits vor Eintritt des Erbfalls Zugriff genommen wird. Im einzelnen spielt sich in der Praxis folgendes Szenario ab: ein Hilfeempfänger legt das bereits bezeichnete Guthaben an; sofern dieses über die Vermögensschongrenze des Sozialhilferechts6 hinausgeht, wird es in der Regel als einzusetzendes Vermögen gewertet. Beruft sich nun später der Erbe auf § 15 BSHG, so hat sich der Sozialhilfeträger letztlich selbst geschadet: hätte er dem Verstorbenen noch zu Lebzeiten das Bestattungsguthaben belassen, so träfe ihn jetzt nicht die Kostenlast aus § 15 BSHG. Wichtiger als diese praktische Konsequenz ist jedoch die Feststellung, daß Bestattungsguthaben entgegen der derzeitigen Handhabung nicht als einzusetzendes Vermögen gewertet werden dürfen. Insoweit lassen sich gewichtige Gründe dafür anführen, Bestattungsguthaben von Sozialhilfeempfängern dem Zugriff des Sozialhilfeträgers 7 komplett zu entziehen.

Die Bedeutung der Grundrechte für Bestattungsguthaben

Als entscheidendes Argument für eine Unantastbarkeit von Bestattungsguthaben erweist sich die bislang nur unzureichend berücksichtigte Geltung8 der Grundrechte. Wie in vielen Bereichen kommunalen Handelns wird auch in Fragen des Bestattungsrechts der erste Abschnitt des Grundgesetzes allzu häufig außer acht gelassen. Zwar ist zunächst vollkommen kommen unstreitig, daß die Festlegung der näheren Umstände der Bestattung, insbesondere die Auswahl der äußeren Gestaltungselemente - z.B. Grabsteine und -leuchten, Einfassungen, Bepflanzungen oder farbliche Gestaltungen - dem Schutzbereich der freien Persönlichkeitsentfaltung aus Art. 2 Abs. 1 GG unterliegt9. Da sich diese als Auffanggrundrecht konzipierte Gewährleistung aufgrund der sogenannten Schrankentrias jedoch relativ unproblematisch einschränken läßt, erlangt die Suche nach anderen einschlägigen grundrechtlich geschützten Bereichen wesentliche Bedeutung. Als ausschlaggebend erweist sich hier die im Rahmen des Bestattungsrechts bislang zumeist verkannte Rolle der Menschenwürde.

Zwar ist allgemein anerkannt, daß die Menschenwürde aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für die Verfassung und wegen der nicht gegebenen Möglichkeit einer Eingriffsrechtfertigung grundsätzlich restriktiv gehandhabt werden muß. Dennoch bedeutet es keine unzulässige Ausweitung der Menschenwürde-Garantie, wenn man sie auch auf die zentralen Fragen der Bestattung anwendet. Beim Tod handelt es sich um eines der grundlegenden Themen, welche die Menschheit seit jeher beschäftigen. Der Umgang mit diesem Komplex betrifft individuelle Fragen, die jeder nur für sich selbst beantworten kann. Wie sich der Betreffende nach seinem Tod darzustellen wünscht - und dies ist neben der Schaffung einer Trauerstätte Für die Angehörigen heutzutage das zentrale Motiv einer Bestattung - ist unmittelbarer Ausdruck menschlicher Existenz. Dies läßt es gerechtfertigt erscheinen, eine Verletzung der über Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Menschenwürde anzunehmen, wenn es zu einer unverhältnismäßigen Reglementierung der Bestattungsmodalitäten gekommen ist10. Das Recht des einzelnen Menschen, die Begräbnismodalitäten noch zu Lebzeiten nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten und zu planen, ist unmittelbarer Ausdruck der durch die Menschenwürde geschützten geistigen Identität11. Vor diesem Hintergrund fragt sich, wie der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das Bestattungsguthaben eines Hilfeempfängers nicht als Verletzung der Menschenwürde gewertet werden kann. Der Betroffene muß noch zu Lebzeiten miterleben, daß ihm die finanziellen Grundlagen für die Durchführung der von ihm gewünschten Bestattung größtenteils genommen werden. Damit kommt es zugleich zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Rechts auf Gestaltung und Planung der eigenen Bestattung und somit zu einer Verletzung12 der Menschenwürde.

Je nach Lage des Falls können auch andere spezielle Freiheitsrechte durch die beschriebene Vorgehensweise betroffen sein. Wünscht sich der Hilfeempfänger für seine Bestattung etwa die Mitwirkung eines Geistlichen, so fallen hierfür sogenannte Stolgebühren an, die nach herrschender Meinung nicht über § 15 BSHG ersetzt werden können17. Lediglich der Einsatz des Bestattungsguthaben stellt somit sicher, daß dem Wunsch des Verstorbenen entsprochen werden kann. Wird das Guthaben hingegen vereinnahmt, scheidet mangels Kostenübernahme die Mitwirkung des Geistlichen aus. Unzweifelhaft geht hiermit eine Verletzung der über Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten Religionsfreiheit einher. Sieht man das Grab bzw. dessen Gestaltung auch unter künstlerischen Gesichtspunkten14 und geht man ferner davon aus, daß es sich bei Grabinschriften auch um Meinungsäußerungen handeln kann15, so besteht zugleich die Möglichkeit einer Verletzung der Kunst- und Meinungsfreiheit, sofern entsprechende Gestaltungen daran scheitern, daß auf das ursprünglich für diese Zwecke angelegte Bestattungsguthaben bereits Zugriff genommen worden ist. Schon diese umfassenden verfassungsrechtlichen Implikationen verbieten es, dem Hilfeempfänger  der Mittel zu berauben, die er für die individuelle Gestaltung seiner Bestattung erspart hat.

Auf einfachgesetzlicher Ebene sind es vor allem die kommunalen Friedhofssatzungen sowie die landesrechtlichen Friedhofs- und Bestattungsgesetze, die das gefundene Ergebnis untermauern. Neben den formellen Gesetzen gilt es für den Sozialhilfeträger in jedem Fall auch, die einschlägigen Friedhofssatzungen zu beachten16. In diesen Rechtsquellen des Friedhofsrechts finden sich zahlreiche, oftmals kostenintensive Klauseln17, die bestimmte Aufwendungen zwingend zur Folge haben. Paradigmatisch ist etwa die Verpflichtung des Grabnutzungsberechtigten, einen Grabstein und nicht nur ein Grabkreuz zu errichten. Zudem erheben nahezu alle bundesdeutschen Kommunen eine regelmäßige gärtnerische Instandhaltung der Grabstelle zur Pflicht18. Hierdurch entstehen häufig Kosten, die zwar grundsätzlich nicht durch § 15 BSHG erfaßt werden, aufgrund der Gesetzesbindung des Sozialhilfeträgers aber dennoch getragen werden müssen. Es erscheint daher praktikabler, dem Hilfeempfänger ein Bestattungsguthaben zu belassen, um aus diesem die beschriebenen Kosten zu bestreiten. Die derzeitige Handhabung erweist sich hingegen als ineffektiv19, wenn zuerst finanzielle Mittel vereinnahmt werden, an denen es später mit der Folge einer Kostentragungspflicht durch  den Sozialhilfeträger fehlt.

Ergebnis:

Der zur Zeit praktizierte Zugriff des Sozialhilfeträgers auf Bestattungsguthaben eines Hilfeempfängers erweist sich als rechtswidrig und unpraktikabel. Die Würde des Menschen verbietet es, die für die Durchführung einer schon geplanten Bestattung bereits angesparten Mittel wieder zu entziehen. Je nach Lage des Falls können zudem einzelne Freiheitsrechte verletzt sein. Als Grenze dieser Sichtweise kann lediglich eine mißbräuchliche Handhabung durch den Hilfeempfänger gelten, so etwa bei nur vorgeschobener Deklarierung eines unverhältnismäßig großen Guthabens als Bestattungsguthaben20.
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1    Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 7. Aufl. 1997, S. 130; Klingshirn,  
      Bestattungsrecht in Bayern, ErI. VI (Stand: Oktober 1995), Rn. 20.

2    OVG Lüneburg, NVWZ-RR 1996, 400 (401).

3    A. A.: Schmitt, BHSG BSHG, Stand: Januar 1998, § 15 Rn. 4; Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG  
     Stand: August 1998,  § 15 Rn. S.

4    VG Augsburg, ZfF 1971,37(39); Gaedke, 1 Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 7. Aufl.
     1997, S. 130: Spranger, Das Bestattungsgewerbe 1997, 689 f.; ders. ZfSH/SGB 1998, 334 ff.;
     Mergler/Zink, BSHG, Stand: Januar 1998, § 15 Rn. 18; a. A. hinsichtlich des Grabsteins:   Jehle, ZfF
     1966, 34 (35); VGH Baden-Württemberg, DÖV 1991, 699; Schellhorn/Jirasek/Seipp,  BSHG, 15. Aufl.
     1997, § 15 Rn. 3; Schmitt, BSHG, Stand: Januar 1998, § 15 Rn. 3.
     Einschränkend: Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG Stand: August 1998, § 15 Rn. 7.

5    OVG Nordrhein-Westfalen,  NJW 1998, 2154 (2155); Hammel, ZfSH/SGB 1998, 606 (616). Allgemein
     zum einzusetzenden Einkommen: OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1996, 400 f.

6    § 88 II Nr. 8 BSHG iVm. § I der VO vom 11 . Februar 1988 (BGBl. I, S. 150).

7    Zur Ermessensreduzierung im Rahmen des § 14 BSHG: Spranger, SuP 1997, 691 ff.

8    Über Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte auch und insbesondere die Exekutive als  unmittelbar
      geltendes Recht.

9    BVerwGE 17. 119 (120); BVerwG, Gemeindetag 1969, 32(33); BVerwG, NvWZ 1987, 679;  BVerwG, 
     Buchholz  408.2 Nr. 14; BVerwG, BayVBl 1991, 220; Hamann/Lenz, Das Grundgesetz. 3. Aufl. 1970,
      Art. 2.  Anm. B. 3. e.) von Busse. Gemeinsame Angelegenheiten von Staat und K Kirche, 1978, S. 294
      f.: Seeger,  Bestattungsrecht in Baden-Württemberg, 2. Aufl. 1984, S. 60; Werther/Gipp, Friedhofs- und
      Bestattungsrecht  in Rheinland-Pfalz, 1984, S. 73.

10  BVerwG, BayVBl 1991, 220; VG Hannover, Gemeindetag 1970, 159 (160); wohl auch BVerwG, DVBl
     1960,  246 (247). Vgl.       auch Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG Stand: August 1998, 15 Rn. 1: 
     Spranger, ZfS 1998,  300  (301). Allgemein: Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der
     grundgesetzlichen Ordnung. 1995.

11   Vgl. BVerwG, BayVBl II 1991, 220.

12   Die Verletzung liegt hier also in der Beeinträchtigung der individuellen Planung und Gestaltung. 
      Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, daß die Art einer Bestattung die Menschenwürde  beeinträchtigt;
      hierzu: Schmitt, BSHG Stand: Januar 1998 § 15 Rn. 3; Oestreicher/ Schelter/Kunz, BSHG Stand
      August 1998, § 15 Rn. 1.

13  Keese/Kursawe/Burucker, Sozialhilferecht, 4. Aufl. 1974, S. 56; Seeger Bestattungsrecht in Baden-     
     Württemberg, 2. Aufl. 1984 S. 100 Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl. 1985 § 15 Rn. 4; Knopp/Fichtner,
     BSHG, 6. Aufl. 1988 § 15 Rn. 3 Bongartz, Ihr Recht auf dem Friedhof, 1995 S. 68  Mergler/Zink, BSHG,
     Stand: Januar 1998 § 15 Rn. 20 Schellhorn/Jirasek/ Seipp, BSHG 15. Aufl. 1997, § 15 Rn.3.
     A:A: Spranger, ZfSH/SGB 1998, 334 (335), ders., ZfS 1998, 300 ff.

14  Mittlerweile existiert sogar ein Museum für Sepulkralkultur. Die Kunstfreiheit wird angesprochen  bei:
     VG Freiburg, DVBl 1994, 873.

15  Dies gilt insbesondere für die auf älteren Friedhöfen zu findenden Inschriften. Eine Sammlung  teilweise
      kurioser Inschriften findet sich bei: Hansing, Hier liegen meine Gebeine, ich wollt‘ es wären Deine,
     1997. Vgl. aber auch aus juristischer Sicht - 1 Humbert, J W 1925, 2108 f.; Josef,       JW 1925, 2109 f.;
     LVG Hannover, NJW 1956, 1372 (1373).

16  OVG Nordrhein-Westfalen, NJW 1998, 2154 (2155); Schmitt, BSHG, Stand: Januar 1998, § 15   Rn. 4;
     Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG IG, Stand: August 1998, § 15 Rn. 7.

17  Zum Kunststoffverbot auf Friedhöfen: Springer, NuR 1998, 185 ff.

18  Bongartz. Ihr Recht auf dem Friedhof, 1995, S. 93; Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und       
      Bestattungsrechts, 7. Aufl. 1997, S. 191 f.

19  Im Zivilrecht würde ein solches Vorgehen wahrscheinlich ich der dolo-agit-Einrede unterfallen  wonach
     derjenige rechtsmißbräuchlich handelt, der zunächst etwas fordert, was er später - wenn auch aus
     anderem Grund - ohnehin wieder zurückgewähren muß.

20  Spranger, ZfSH/SGB 1998, 95 (97). So wohl auch 1 Hammel, ZfSH/SGB 1998, 6116  (616, Rn. 108);
     Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, Stand: August 1998, § 15 Rn. 8.

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