Aber wieso diese aberwitzige Lobdudelei auf
Ex-Zeitgenossen, deren markanteste Charaktereigenschaften meist aus Geldgier, Geilheit und Geistesträgheit gepaart mit einer tief verwurzelten Neigung zu Suff und Seitensprung bestehen? Warum nur saugen wir uns für jeden heimgegangenen Volltrottel blumige Charakterbeschreibungen aus den Fingern und winden sie zu einem prachtvollen Grabbouquet in Traueranzeigenformat? Wieso mutieren intrigante Schwiegermütter, Quell unzähliger blutig ausgetragener
Ehekrisen, in der Zeit zwischen Ableben und Bestattung zu Heiligenfiguren vom Kaliber einer schwarzen Madonna von Tschenstochau, gegen die Mutter Theresa nur eine egomanische alte Schachtel ist? Und warum nur werden geile alte Saufköppe nicht treffend als Mixtur aus Marquis de Sade und Harald Juhnke beschrieben, die das Familienvermögen in Puff und Suff durchbringen, statt es den vor dem drohenden Rentendesaster zitternden Erben zu hinterlassen?
Die Erklärung ist ganz simpel: eine Todesanzeige ist eigentlich so etwas wie ein letztes Arbeitszeugnis. Nach Beendigung eines mehr oder (meist) weniger erfolgreichen Lebensverhältnisses wird dem ausscheidenden Mitleber quasi ein Lebenszeugnis ausgestellt, mit dem er sich in anderen Lebenswelten als brauchbarer und einsatzfreudiger neuer Mitleber bewerben kann. Natürlich sollte so ein letztes Zeugnis einen wahren Kern
enthalten, dieser wird jedoch genau wie ein irdisches Arbeitszeugnis mit gefälligen Floskeln so geschmeidig umhüllt, dass es zumindest auf den ersten Blick nicht auffällt, dass von dem hier beschriebene Ex-Mitleber nur dringend gewarnt werden kann. Erst bei näherem Hinschauen wird klar, dass es sich bei ihm um einen stinkend faulen Volltrottel handelt, der außer der hohen Kunst des Mobbing in seinem soeben beendeten irdischen
Lebensverhältnis wenig zustande gebracht hat. Froh, ihn für immer los geworden zu sein, stellen wir ihm ein hübsches Traueranzeigenzeugnis aus – sollen sich doch die da oben im Paradies, Nirwana, den Ewigen Jagdgründen oder wo zum Teufel auch immer künftig mit diesem Blödmann abgeben – und zwar (und hier kommt nun echte Schadenfreude auf) für immer und ewig!
Dass in Traueranzeigen auf Deubel komm raus (!) gelobhudelt wird, hat noch einen anderen
Grund. Anders als bei irdischen Arbeitszeugnissen werden diese nämlich nicht vom Chef persönlich, sondern von den irdischen Mitlebern ausgestellt. Und da ist man bei der Formulierung natürlich schon vorsichtig, denn irgendwann bekommt man ja auch mal so ein Ablebenszeugnis von den Kollegen Mitlebern. Wenn ich mir schon alle Mühe gebe, für Schwager Werner, den alten Kotzbrocken eine gefällige Todesanzeige aufzusetzen, in
der nur Insider erkennen, zu welchen Hinterhältigkeiten Werner, der alte Erbschleicher, fähig sein konnte (Originalzitat: „... unvergessen ist, wie er Oma Gertrud jahrelang aufopferungsvoll pflegte ...“), dann darf ich doch wohl erwarten, dass auch meine Traueranzeige entsprechend taktvoll hinfabuliert wird und dass die Sache mit dem Telefonsex mal schön außen vor bleibt.
Dass unser aller Chef unsere Ablebenszeugnisse nicht selbst schreibt, hat übrigens nichts
damit zu tun, dass er sich keine Probleme mit den Interessenvertretungen der Verstorbenen einhandeln will. Von dieser Seite droht ihm kein Ärger, die kirchlichen Interessenverbände sind bekannt dafür, dass sie sich immer wieder lieb Kind bei ihrem obersten Boss von der Lebensgeberseite machen wollen. Klare gewerkschaftliche Verhandlungspositionen ersetzen sie durch pflaumenweiche Fürbitten, die jedem IG-Metall-Funktionär nur ein
mitleidiges Grinsen entlocken würden. Nein, die finalen Zeugnisse lässt unser aller Chef deshalb von uns Miterdenbürgerkollegen schreiben, um unsere tief verwurzelte Neigung, falsch Zeugnis zu reden und zu schreiben (sein entsprechendes Gebot hat sich von Anfang an als absoluter Flop erwiesen) wenigstens in positive Bahnen zu lenken: wenn schon lügen, dass sich die Balken biegen, dann aber wenigstens sozial verträglich!
Traueranzeigen also als zweifelhafter Versuch eines Positiv-Mobbing – finalmortale political correctnes.
Einer der wenigen Punkte, in denen sich Todesanzeigen in ihrer Klarheit von rein irdischen Arbeitszeugnissen wohltuend unterscheiden, ist der, dass in den Ablebenszeugnissen fast immer die Rede davon ist, dass das Lebensverhältnis einseitig von Lebensgeberseite gekündigt wurde – oft sogar plötzlich und unerwartet! Dass auch in den vereinzelten Fällen,
in denen der Ex-Mitleber sein irdisches Lebensverhältnis auf eigenen Wunsch beendet hat, die Kündigungsmodalitäten wiederum nur vage angedeutet werden bleibt hingegen unverständlich.
Aber welche Aussagen stecken nun eigentlich hinter den blumig verfloskelten Traueranzeigentexten? Wie und was können wir zwischen den trauerberandeten Zeilen lesen? Genau wie bei irdischen Arbeitszeugnissen gibt es auch hier eine Fülle von
Insidercodes. Ist z.B. in einem finalen Zeugnis die Rede davon, dass Herr Schmidthuber nach einem reichen und erfüllten Leben viel zu früh von uns gegangen ist, so heißt dies im Klartext, dass Schmidthuber ein geiler Bock war, der nichts hat anbrennen lassen und sich jetzt angesichts einer erneuten Vaterschaftsklage ruckzuck vom Acker gemacht hat.
Frau M. verstarb plötzlich und unerwartet sagt uns, dass die M. schon immer Probleme
hatte, sich an klare Absprachen zu halten und uns allen mit ihren nervigen Eskapaden auf den Geist ging.
Die beliebte Formulierung nach langem Leiden bezeichnet einen hypochondrisch veranlagten Jammerlappen, der Hausarzt, Krankenkasse und nahe Angehörige virtuos nerven konnte.
Klärt uns der Traueranzeigentext darüber auf, dass Herr L. im Kreise seiner Lieben verschied, weiß der Eingeweihte sofort, dass L. ein alter Despot war, der bis zum letzten
Atemzug alle unter seiner Fuchtel halten wollte. Wogegen uns L. entschlief friedlich sagt, dass L. schon zu Lebzeiten eine wandelnder Schnarchsack war, der sich bis zuletzt treu blieb und selbst seinen eigenen Tod verpennt hat. Ist L. jedoch angeblich durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen, verrät uns diese Verfloskulierung einiges über L.‘s praktische Fähigkeiten: absolut unbrauchbar, in technischen Dingen grottenblöd und
ein miserabler Autofahrer, den nur sein plötzlicher Tod davor bewahrte, endgültig aus der Vollkaskoversicherung zu fliegen.
Ist in der Anzeige neben dem tragischen Unfall auch noch die Rede davon, dass L.‘s Tod für uns alle unfassbar ist, bezieht sich das natürlich nicht auf den Unfall (denn damit hatten wir als profunde Kenner von L.‘s Blödheit längst gerechnet) – nein, unfassbar sagt dem
kundigen Anzeigenleser, dass wir alle eigentlich darauf gehofft hatten, dass L. einen etwas spektakuläreren Abgang wählen würde. Wieso hat er eigentlich nie die von Schwager Heinz ausgeliehene Kettensäge benutzt, um dann bei einer vermurksten Baumfällaktion in einem grandiosen Showdown à la Kettensägemassaker zu enden? Statt dessen ist L., dieser alte Spielverderber, nur in aller Stille mit dem PKW vor eine Litfasssäule mit launiger
F.D.P.-Werbung geknallt (originell immerhin: direkt zwischen die Beine eines fallschirmspringenden Möllemann) und hat dabei gleich noch, für uns alle unfassbar, den nagelneuen Minivan mit automatischer Klimaanlage und 25-fach verstellbarer Sitzbank mit in den Tod gerissen – Möllemann hat das ganze natürlich mal wieder unbeschadet überlebt.
Trotz L.‘s apraktischer Veranlagung spricht nichts dagegen, die Todesanzeige mit der Floskel er war uns stets ein Vorbild
zu garnieren – weist sie doch ausschließlich auf L.‘s Hang zur penetranter Rechthaberei (besonders als Beifahrer) hin. Gerne wird hier auch noch hinzugefügt wir werden immer an ihn denken oder die akademisch-bildungsbürgerliche Variante seiner gedenken. Soll heißen: einen so selbstgefälligen Besserwisser wie L. kann man leider auch mit viel Anstrengung und einem Aufbaukurs in Zen-Buddhismus nicht aus seinem Gedächtnis tilgen. Er wird uns stets eine
mentale Heimsuchung bleiben – Psychotherapeuten sprechen hier von sogenannten Mind-Zombies, die auf ewig ruhelos durch unser Hirne wabern.
Einen ganz anderen Typ von Todesanzeige finden wir in der Formulierung gestern verstarb unsere geliebte Mutter, Großmutter, Schwester, Tante und Schwägerin – wohl eine der düstersten Chiffren, die uns aus den Traueranzeigenseiten der Tagespresse morgens zwischen Frühstücksei und Frischkornmüsli entgegengeschleudert werden! Sagen uns
diese Zeilen doch, dass hier alle weiblichen Familienmitglieder auf einen Schlag amokartig massakriert wurden. Ein Blich auf die sich anschließende Auflistung der trauernden Hinterbliebenen reicht, um zu erfahren, wer der Täter war: Neffe Horst-Eduard. Horst-Eduard fehlt hier, er als einziger trauert offenbar nicht, ist ergo der Meuchler. Horst-Eduard hat seinem Mordtrieb nachgebend die ganze weibliche Bagage mit dem
Fleischklopfer zu Brei gestampft. Ist dann in der Anzeige auch noch die Rede davon, dass sich die Verstorbenen stets durch große Güte, Herzenswärme und innige Fürsorge für die Familie ausgezeichnet hatten, haben wir auch schon einen Hinweis auf Horst-Eduards Tatmotiv: Horsti hat sich nach langen psychoanalytischen Sitzungen endlich dazu durchgerungen, seinen inzestuösen Mutterkomplex final aufzuarbeiten.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass sich seit einigen Jahren ein ganz neuer Trend in der bundesdeutschen Traueranzeigenszene abzeichnet. Germanisten sprechen hier von der sogenannten neuen mortalen Sachlichkeit. Ziel ist hier eine größere Klarheit bei der Abfassung von finalen Zeugnissen, um auch dem ungeübten Trauertextleser die Chance zu geben, sich ein realistisches Bild von dem lieben Verstorbenen zu machen. Ein
abschließendes Beispiel mag hier verdeutlichen, wie mit einem bisschen guten Willen eine Todesanzeige sehr schön transparent und erfrischend klar gestaltet werden kann:
Durch einen dummen Patzer am Steuer seines PKW starb gestern, wie von uns allen längst erwartet, Herr Eugen B. Dank 3,5 Promille entschlief er friedlich inmitten der von ihm verursachten Massenkarambolage. Trotz seiner großen Verdienste um das
bundesdeutsche Pornosammlerwesen hat er als Vorbild nie so recht getaugt. Große Taten waren, wie jede Form der Arbeit, seine Sache nicht. So tragen wir Eugen B.‘s Ableben denn auch mit großer Fassung. In dieser Stunde des Abschieds ist uns allen ein großer Trost, dass Eugen B. leicht zu ersetzen sein wird, weil es von seiner Sorte leider noch viel zu viele gibt.
Stephan Franke Kabarett-Infos: