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Bestatter in Deutschland

Zur Geschichte weltlicher Bestattungskultur

  (Vortrag auf dem Kolloquium „Weltliche Bestattungskultur in Berlin“ am 25. Mai 2002 im Krematorium Berlin-Baumschulenweg)

Von Norbert Fischer

Ein Sozialistenfriedhof

Der Friedhof Berlin-Friedrichsfelde wird als „Sozialistenfriedhof“ bezeichnet. Dieser wurde im späten 19. Jahrhundert – genauer gesagt: 1881 - eröffnet und war ursprünglich ein außerhalb der Stadtgrenzen gelegener Armenfriedhof. Rasch wurde Friedrichsfelde zu einem bevorzugten Ort für zunächst sozialdemokratische, später auch sozialistische und kommunistische Bestattungsfeiern. Damit bildete er gesellschaftlich-politisch einen Gegenpol zu den altehrwürdigen kirchlichen Friedhöfen in Berlin mit ihren teilweise monströsen Grabstätten des Bürgertums. Friedrichsfelde wurde zugleich zum Schauplatz vieler nicht-kirchlicher, weltlicher Trauerfeiern –unserem eigentlichen Thema.
Dieser „Sozialistenfriedhof“ wird uns später noch einmal beschäftigen. Zuvor möchte ich einige Stationen in der Geschichte der weltlichen Bestattungskultur skizzieren.

Zur Entwicklung der Bestattungskultur in der Neuzeit

Blickt man auf die christlich-abendländische Tradition, so gehörten Tod und Bestattung jahrhundertelang zur Domäne der Kirchen. Bis in die Neuzeit hinein waren die Muster der Trauerkultur vom christlichen Glauben und kirchlichen Institutionen geprägt. Das Christentum hatte die Toten bekanntlich in das Zentrum der Städte geholt, weil es der christliche Glaube erstrebenswert erscheinen ließ, bei den Reliquien bestattet zu werden.  So waren Kirche und Kirchhof zum klassischen Ort christlicher Bestattung geworden – entweder als privilegierte Grabstätte im oder direkt am Gotteshaus, zumindest aber auf dem umliegenden Kirchhof.

Neben den Kirchen gab es weitere Formen einer wohlorganisierten, immer noch christlich geprägten Totenfürsorge. Auf dem Land spielten dörflichen Gemeinschaften und Nachbarschaften eine zentrale Rolle. Zünfte entwickelten für ihre Mitglieder spezifische Rituale und Symbole, die weit bis ins 19. Jahrhundert hinein Bestattung und Trauer prägten (diese Traditionslinien wurden, wie wir noch sehen werden, später von der Arbeiterbewegung aufgegriffen). Wie die Zünfte, so richteten auch sogenannte Sterbekassen häufig Gemeinschaftsgrabstätten ein und prägten damit Bestattung und Trauer. Innerhalb der katholischen Kirche kümmerten sich die Bruderschaften in besonderer Weise um Tod und Bestattung. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts bildeten diese Bruderschaften ein regelrechtes Massenphänomen – wenigstens in katholischen Regionen.

Aber bereits zur Zeit der Kirchenspaltung, also zur Reformationszeit, begannen in Deutschland strukturelle Wandlungsprozesse, die sich in den folgenden Jahrhunderten, in der Zeit der Aufklärung und dann vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, verstärken sollten. Es waren Entwicklungen, die mit Stichwörtern wie „Individualisierung“, „Technisierung“ und  eben „Säkularisierung“  charakterisiert werden können und einen „modernen“ Umgang mit dem Tod begründeten. Sie brachten vor allem in den Städten neue Orte der Trauer hervor: außerstädtische Friedhöfe, Leichenhallen, Krematorien.

Damit verbunden war ein allgemeiner gesellschaftlicher Säkularisierungs-, also Verweltlichungsprozess. Gerade im Zuge von Technisierung und Industrialisierung schwanden christliche Traditionen immer mehr. Liturgische Elemente wurden zu bloßen Versatzstücken, eingebaut in zunehmend bürokratisierte und technisierte Abläufe. Nicht mehr das christliche Gotteshaus, sondern die kommunalen Leichenhallen und Krematorien waren die gesellschaftlichen Orte der Trauer.

Dr. Norbert Fischer,  Universität Hamburg
       
Foto: postmortal.de - Bernd Bruns

Auch die Organisation der Bestattung entglitt den Kirchen. Sie unterlag seit dem späten 19. Jahrhundert einem  Professionalisierungsprozeß. Privatwirtschaftliche Bestattungsunternehmen entwickelten sich zur entscheidenden Instanz im Umfeld der Beisetzung. Hervorgegangen vor allem aus Schreiner- und Fuhrbetrieben, die Bestattungen zuvor als Nebengeschäft besorgt hatten, entstanden etwa ab 1870 die ersten privaten Unternehmen. Die Industrialisierung der Sargherstellung, immer zeitaufwendigere und kostenintensivere Leichentransporte und die wachsende Nachfrage nach weiteren Dienstleistungen spielten bei der Entfaltung des neuen Gewerbezweiges eine Rolle. Neben der rein logistischen Abwicklung übernahmen die Bestatter allmählich auch zeremonielle Funktionen, die zuvor von anderen gesellschaftlichen Gruppen – vor allem der Kirchen – ausgeübt worden waren. In einigen Städten, wie Kassel, war eine privatwirtschaftliche Tätigkeit auf diesem Gebiet allerdings untersagt; die Aufgaben wurden dort, wie schon seit längerem in München, seitens der Kommune wahrgenommen. So bildeten auch die Professionalisierung des Bestattungswesens und das Aufkommen privatwirtschaftlicher Unternehmer einen wichtigen Faktor der allgemeinen Säkularisierung im Bestattungswesen.

Freidenkertum, Arbeiterbewegung und Feuerbestattung:
Ausdrucksformen weltlicher Bestattungskultur

Jenseits dieser allgemeinen Säkularisierungstendenzen, die sich ja in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bemerkbar machten, gab es auch Entwicklungen, die auf eine dezidiert anti-kirchliche, also im engeren Sinn „weltliche“ Bestattungskultur zielten. Den Anfang bildeten – abgesehen von verstreuten Sonderfällen, etwa im Umfeld von Aufklärung und Französischer Revolution – freigeistige bzw. -denkerische Bewegungen, die seit Mitte des 19.  Jahrhunderts in Deutschland entstanden. Sie strebten eine unabhängig vom christlichen Glauben begründete, naturwissenschaftlich bestimmte Sicht auf Leben und Tod an. Bis heute zeugt etwa der Friedhof der Berliner Freireligiösen Gemeinde an der Pappelallee (Prenzlauer Berg) von dieser Bewegung – auf diesem 1840 eröffneten Begräbnisplatz wurden auch einige Persönlichkeiten der frühen Berliner Sozialdemokratie beigesetzt, u.a. Wilhelm Hasenclever.

Vor allem aber brachte die sich massiv entfaltende Arbeiterbewegung die Kirchen in die gesellschaftliche Defensive. Die Sozialdemokratie nutzte beispielsweise Bestattung und Trauer, um Bismarcks Sozialistengesetz zu unterlaufen, das ihre Arbeit zwischen 1878 und 1890 massiv einschränkte. Sozialdemokratische Trauerzüge waren durch eine Vielzahl rote Bänder, Schleifen und Blumen geprägt. Noch die Bestattung von August Bebel, des langjährigen Führers der deutschen Sozialdemokratie, im Jahr 1913 bot reiches Anschauungsmaterial - sie wurde zur Manifestation einer politisch und gesellschaft immer noch diskriminierten Partei und gestalteten sich zu einer „Symphonie in rot“ (wie es in der Parteipresse hieß).

Auch der eingangs erwähnte „Sozialistenfriedhof“ in Berlin-Friedrichsfelde spielte für die Bestattungskultur der Arbeiterbewegung eine herausragende Rolle. Als im August des Jahres 1900 Wilhelm Liebknecht dort beigesetzt wurde, gab es einen von Zehntausenden von Menschen umrahmten fünfstündigen Trauerzug. August Bebel, Paul Singer, Viktor Adler und andere Sozialdemokraten sprachen in der Leichenhalle des Friedhofs. Später wurden auch Singer selbst, Hugo Haase, Emma Ihrer, Ignaz Auer, Carl Legien und andere hier beigesetzt. Bezeichnenderweise gab es auf dem Friedhof Friedrichsfelde keine jener Heldengedenk- oder Kriegerdenkmäler, wie sie von anderen, christlich-bürgerlichen Friedhöfen bekannt waren. Stattdessen wurde 1926 auf Friedrichsfelde ein von dem Architekten und späteren Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe geschaffenes Revolutionsdenkmal eingeweiht (das kaum zehn Jahre später von den Nationalsozialisten wieder zerstört wurde …). So zeigt der Friedhof Friedrichsfelde – wie kein anderer – eine von der Arbeiterbewegung geprägte, weltliche Bestattungs- und Gedenkkultur.

Die Feuerbestattungskassen

Sowohl die Arbeiterbewegung als auch die freigeistigen Vereinigungen unterstützten im allgemeinen die Feuerbestattung. Da die christlichen Kirchen die Feuerbestattung weitgehend ablehnten, waren viele Trauerfeiern in den Krematorien weltlich. Gerade die ideelle und organisatorische Verbindung von Feuerbestattung, Freidenkertum und Arbeiterbewegung verschaffte den Krematorien – und damit weltlichen Trauerfeiern –  nach dem Ersten Weltkrieg erheblichen weiteren Zulauf aus den unteren Sozialschichten. Bestattungen waren für die breite Masse in den wirtschaftlichen Krisenzeiten der Weimarer Republik ein erheblicher Kostenfaktor. Hier boten die im Umfeld von Freidenkertum und Arbeiterbewegung gegründeten Feuerbestattungskassen Abhilfe.

Bereits 1904 war aus der Berliner Freireligiösen Gemeinde heraus  der „Sparverein für Freidenker zur Ausführung der Feuerbestattung“ gegründet. Zu seinen Vorstandsmitgliedern gehörte auch auch ein bekannter sozialdemokratischer Stadtverordneter. Seine zunächst wenigen Mitglieder (1910: 39; 1914: 770) betrachteten die Einäscherung als eine betont atheistisch-egalitäre Bestattungsform.

Dieser Verein entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg zu eine der wichtigsten Organisationen, die auf eine  Popularisierung der Feuerbestattung in den Arbeiterschichten zielten. Dies galt auch für die aus gewerkschaftlichen Kreisen heraus 1913 gegründete „Volks-Feuerbestattung V.V.a.G“ (V.V.a.G. = “Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“; ursprünglich hieß er „Volks-Feuerbestattungsverein Groß-Berlin V.V.a.G“). Beide Vereinigungen bildeten Feuerbestattungskassen und zählten in ihren Glanzzeiten jeweils mehrere hunderttausend Mitglieder.

Die „Volks-Feuerbestattung“ nahm anfangs nur freigewerkschaftliche Mitglieder auf. Zahlstellen befanden sich in gewerkschaftsnahen Gastwirtschaften. Die Bestattung erfolgte zunächst über gewerkschaftsnahe Bestattungsunternehmer.

Angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Not nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Mitgliederzahl rasch an: 1920 auf 49 543, 1921 auf 89 895 und 1922 auf 153 628 Mitglieder. Ab 1921 wurden die Bestattungen in Eigenregie auf gemeinwirtschaftlicher Basis durchgeführt – mit eigenem Fuhrpark, Sägewerk und Schreinerei für die Sargherstellung. 1922 gab man die Beschränkung auf Groß-Berlin auf und nannte sich in „Volks-Feuerbestattungs-Verein V.V.a.G.“ um. Geschäftsstellen entstanden in vielen deutschen Städten, so dass die „Volks-Feuerbestattung“ Ende 1925 rund 600 000 Mitglieder zählte. Die Dienstleistungen bestanden in der Übernahme der Kosten für gesangsmäßige bzw. musikalische Untermalung der Trauerfeier sowie die Mitwirkung eines Geistlichen oder weltlichen Trauerredners (Sprechers).

Auf dem Weg zur Gegenwart

Wie die Arbeiterbewegung, so wurden auch die freigeistigen Organisationen vom nationalsozialistischen Regime zerschlagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar in beiden deutschen Staaten Ansätze zur Wiederbelebung, die jedoch nie an die Bedeutung der Weimarer Zeit anknüpfen konnte. Gleichwohl blieb der Trend zur weltlichen Bestattung ungebrochen. Im Staatssozialismus der DDR wurde er offiziell gefördert. In Ost-Berlin beispielswese waren im Jahr 1976 77,5% der Bestattungen nicht-kirchlich. Im Mittelpunkt dieser weltlichen Trauerfeiern stand – wie auch allgemein bei nicht-kirchlichen Bestattungen – der Trauerredner mit seiner Rede (die in der DDR „ ... eine Würdigung des Verstorbenen und seine Kennzeichnung als Mitglied der sozialistischen Gesellschaft einschloß“.) Dabei profilierten sich einzelne Redner, so daß sie nach dem Zusammenbruch der DDR als weltliche Trauerredner selbstständig tätig werden konnten.

War es in der DDR der staatlich verordnete Sozialismus, der die kirchlichen Zeremonien zurückdrängte, so sorgte in der Bundesrepublik der allgemeine Trend zur Säkularisierung für einen Aufschwung nichtkirchlicher Trauerfeiern. Vor allem in Großstädten sind heutzutage weltliche Bestattungen längst nichts Ungewöhnliches mehr und machen teilweise mehr als die Hälfte aller Trauerfeiern aus. Dies verhalf nichtkirchlichen Trauerrednern zu einem enormen Aufschwung, was sich auch in neuen Verbandsgründungen niederschlug. Abgesehen von lokalen Organisationen sind beispielsweise zu nennen der 1990 gegründete “Fachverband für weltliche Bestattungs- und Trauerkultur e.V.” sowie die 1996 gegründete “Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier e.V.”, die allgemein nichtkirchliche Trauerredner vertritt.

Wo auch immer die Entwicklung hinführen wird – es scheint, als würden die bisherigen Schauplätze von Tod, Trauer und Erinnerung ihre Bedeutung künftig verlieren. Das immer häufigere anonyme Rasengrab einerseits, die digitalen Gedenkseiten im Internet andererseits sind zum sepulkralen Ausdruck der postindustriell-mobilen Gesellschaft geworden. Neue Orte der Trauer entstehen, die abseits der bisherigen liegen – auch die kleinen, blumengeschmückten Holzkreuze am Rand der Autostraßen gehören dazu. Immerhin belegen sie, dass die immer wieder laut werdenden kulturkritischen Klagen über die gesellschaftliche Verdrängung von Tod und Trauer vielleicht doch verfehlt sind.

Jedenfalls scheint mir diese „Individualisierung“ der Bestattungs- und Trauerkultur der bislang letzte Schritt in der Geschcihte der Verweltlichung. Gerade in Großstädten verlassen ich immer mehr Menschen den festen Rahmen christlicher Traditionen und Zeremonien und suchen sich neue, häufig selbstbestimmte Ausdrucksformen der Trauerkultur. Ein wichtiger Katalysator dieser Entwicklung ist übrigen die AIDS-Szene gewesen, gerade in Städten wie Berlin.

Kommen wir zum Schluss: Offenbar ist das gesellschaftliche Bedürfnis, dem Tod etwas entgegenzusetzen, stärker als der aktuelle Trend zur namen- und zeichenlosen Rasenbestattung zunächst vermuten lässt. Aber es sind heutzutage nicht mehr die überlieferten Muster, die den Umgang mit den Toten prägen. In den neuen, verweltlichten Ausdrucksformen zeigt sich auch ein soziales und humanes Kapital, das sich als widerständig erweist gegenüber einer allzu eingeschliffenen, allzu funktionalen Routine, wie sie die Bestattungskultur jahrzehntelang beherrschte. Dies eröffnet zu Beginn des 21. Jahrhunderts, so denke ich, auch den Formen weltlicher Bestattungs- und Trauerkultur ein neues, vielfältiges Spektrum und weitere Horizonte.

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