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Quelle: DVBl. 1. November 1997 S. 1278

VGH Bad.-Württ. - Urteil vom 16. 10. 1996 1 S 3164/95 -

2.  Art. 2 GG; §§ 2, 14 BestG

Die aus ästhetischen Gründen erlassene Regelung in einer Friedhofsordnung FO, wonach bei der Gestaltung der Grabmale Politur unzulässig ist, ist mit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit i. d. R. nur vereinbar, wenn in der Satzung sichergestellt ist, daß solche Grabmale auf einem anderen gleichwertigen Gräberfeld desselben Friedhofs aufgestellt werden dürfen (Fortführung der Rspr. des Senats, Urteile vom 25. 1. 1988, DÖV 1988, 474, und vom 26. 9. 1989, BWVPr. 1990, 90 ff.).

 

Aus den Gründen:

Dem Begehren der Kl. auf Errichtung eines Grabsteines aus braunem, poliertem Granit steht die Friedhofsordnung (FO) nicht entgegen. Zwar ist gern. § 15 Abs. 4 Nr. 1 FO bei der Gestaltung der Grabmale Politur nicht zulässig. Dieses Verbot bindet die Kl. jedoch nicht, da es auch unter Berücksichtigung der in 14 Abs. 1 Satz 2 FO vorgesehenen Auswahlmöglichkeit gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstößt und damit rechtsunwirksam ist. Das Recht des Verstorbenen und seiner Angehörigen, über Bestattungsart, Gestaltung und Pflege der Grabstätte zu entscheiden, ist nach der Rspr. des Senats (vgl. Urteil vom 26. 9. 1989  1 S 3401/88  m. w. N., BWVP 1990, 90 ff.) eine Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Angehörigen, denen die Ehrung des Toten obliegt, sind grundsätzlich frei, die Grabstätte nach ihren eigenen Anschauungen von Pietät, Ästhetik und Zweck- mäßigkeit zu gestalten. Begrenzt ist dieses Recht durch den Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, d. h. durch jede Rechtsnorm, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang steht. Dazu gehören Gestaltungsvorschriften durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes, die erforderlich sind, um eine der Würde des Ortes entsprechende Gestaltung der Grabstätten sicherzustellen und den Friedhofsbenutzern die ungestörte Totenandacht zu ermöglichen. Regelungen dieser Art, die in sämtlichen Abteilungen eines oder mehrerer Friedhöfe zu beachten sind und deshalb üblicherweise als allgemeine Gestaltungsvorschriften bezeichnet werden, muß der Verfügungsberechtigte eines Reihengrabs ebenso wie der Nutzungsberechtigte eines Wahlgrabs hinnehmen, weil sie durch den Friedhofszweck (vgl. §§ 2, 14 BestG) geboten sind. Zulässig sind demnach alle Gestaltungsvorschriften, die notwendig sind, um eine »würdige Ruhestätte« (Senatsurteil vom 25. 1. 1988  - 1 S 3418/86 , - DÖV 1988, 475 m. w. N.) zu gewährleisten.

Das in § 15 Abs. 4 Nr. 1 FO normierte Verbot, mit Politur versehene Grabsteine zu errichten, stellt keine allgemeine Gestaltungsvorschrift in dem dargelegten Sinne dar. Dies wird von der Bekl. auch nicht in Abrede gestellt. Die Aufstellung polierter Grabsteine führt nämlich nicht dazu, daß der Friedhof seinen Charakter als würdige Ruhestätte verliert.

Daß polierte Grabsteine bei Sonneneinstrahlung spiegeln und glänzen können, widerspricht nicht dem Friedhofszweck und wirkt auf das Empfinden des für ästhetische Eindrücke offenen Durchschnittsbetrachters (vgl. zu diesem Maßstab:VGH Bad.-Württ., Urteil vorn 25. 2. 1958, ESVGH 7, 172; BVerwG, Urteil vom 8. 11. 1963, BVerwGE 1 7, 119) nicht verunstaltend. Die Regelung dient damit nicht als allgemein zulässige Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit der Verwirklichung des Friedhofszwecks.

Grundsätzlich ist der Friedhofsträger befugt, im Rahmen des ihm zustehenden normativen Ermessens strengere Gestaltungsvorschriften zu erlassen, um bestimmte ästhetische Vorstellungen zu verwirklichen und eine mehr oder weniger einheitliche Gesamtanlage zu schaffen. So sind sog. Waldfriedhöfe und Parkfriedhöfe entstanden. Solche besonderen bzw. zusätzlichen, d. h. nicht durch den Friedhofszweck gebotenen Gestaltungsvorschriften darf der Friedhofsträger. weil andernfalls die allgemeine Handlungsfreiheit der Inhaber oder Erwerber von Grabstätten unverhältnismäßig beschränkt wäre, jedoch nur erlassen, wenn er einen Ausgleich schafft und an anderer Stelle die Möglichkeit gewährt, daß der Friedhofsbenutzer ein Grabmal nach seinen Wünschen aufstellt, sofern dieses nicht störend wirkt (BVerwG, Urteil vom 8. 11. 1963, aaO). Er muß rechtlich und tatsächlich gewährleisten, daß auf anderen Friedhöfen oder Friedhofsteilen im Gemeindegebiet Grabfelder zur Verfügung stehen, für die allein die allgemeinen, d. h. durch den Friedhofszweck gebotenen Gestaltungsvorschriften gelten (vgl. Senatsurteile vom 25. 1. 1988, DÖV 1988, 474, und vorn 26.9. 1989, BWVPr. 1990, 90). Die Frage, wo er diesen Ausgleich schaffen muß, ob auf einem bestimmten Grabfeld ohne besondere Gestaltungsvorschriften auf demselben Friedhof oder auf einem anderen Friedhof im selben Stadtteil, oder ob es gar ausreicht, eine Ausweichmöglichkeit auf einem Friedhof in einem anderen Ortsteil der Gemeinde vorzusehen, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Die Antwort hängt davon ab, ob und inwieweit es für den vom Friedhofsträger mit der besonderen Gestaltungsvorschrift verfolgten Zweck eine Rechtfertigung gibt und inwieweit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch eine Dispensregelung Rechnung getragen wird. je weniger der dargelegte Zweck für eine besondere Gestaltungsvorschrift den Eingriff in die Handlungsfreiheit der Friedhofsbenutzer rechtfertigt, um so strengere Maßstäbe sind an die Schaffung der Ausweichmöglichkeit anzulegen. Andererseits ist der Eingriff um so geringer, je gleichwertiger die Ausweichmöglichkeit ist.

Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, daß die Friedhofsbesuche von Angehörigen einen wesentlichen Bestandteil der vom Friedhofszweck mitumfaßten Totenehrung darstellen und daher nicht mehr als erforderlich erschwert werden dürfen. Die Friedhofs- ordnungen sind daher so auszugestalten, daß Angehörige die Gräber ihrer Verstorbenen möglichst häufig besuchen können. Daher ist regelmäßig mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, Friedhofsbesucher allein zur Durchsetzung bestimmter ästhetischer Anschauungen, die noch dazu einem Wandel unterliegen können, zu zwingen, auf die Bestattung eines Verstorbenen auf dem örtlichen Friedhof, der herkömmlich Bezugsfriedhof ist, zu verzichten und auf einen anderen Friedhof innerhalb der Gemeinde auszuweichen, falls sie eine ungebundene Grabgestaltung wünschen.

Die Beachtung dieser Grundsätze führt regelmäßig dazu, daß die Wahlmöglichkeit auf dem Friedhof selbst bestehen muß. Denn nur so ist gewährleistet, daß der Eingriff in Art. 2 GG möglichst gering gehalten wird. Ausnahmen sind denkbar wenn mindestens auf einem Friedhof innerhalb eines Gemeinde- oder Stadtteils Grabfelder, für die keine besonderen Gestaltungsvorschriften gelten, zur Verfügung gestellt werden (vgl. auch Nr. 27 der Erl. zur Mustersatzung des Gemeindetags Bad.-Württ., abgedruckt in: Seeger, Bestattungsrecht in Bad.-Württ., 2. Aufl., S. 155). Ob und in welchen Fällen es darüber hinaus ausreichen kann, daß lediglich eine Ausweichmöglichkeit auf einem Friedhof in einem anderen Stadtteil der Gemeinde geschaffen wird, was nur im Hinblick auf eine zusätzliche Gestaltungsvorschrift denkbar erscheint, für die es eine besondere Rechtfertigung gibt, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Denn jedenfalls rechtfertigt es der von der BekI. dargelegte Zweck für das Verbot, polierte Grabsteine aufzustellen, nicht, die Einwohner der in der Stadt R. eingegliederten Gemeinde M. auf den  noch dazu mit verkehrsmäßigen Erschwernissen verbundenen, etliche km entfernt gelegenen  Friedhof in einem anderen Stadtteil des Gemeindegebiets zu verweisen, wenn sie eine von besonderen Vorschritten freie Grabgestaltung wünsehen.

Die Bekl. verfolgt nach ihrem Vorbringen mit dem Verbot polierter Grabsteine den Zweck, ihre ästhetischen Vorstellungen von Vergänglichkeit zu verwirklichen. Bearbeitete Steine unterlägen einem natürlichen Alterungsprozeß, während polierte Grabsteine bei entsprechender Pflege stets wie neu aussähen. Auch sei von polierten Grabsteinen ausgehende Spiegelungswirkung unerwünscht. Außer diesen ästhetischen Gesichtspunkten sind keine sachlichen Gründe geltend gemacht, bzw. erkennbar, die das Verbot, polierte Grabsteine aufzustellen, rechtfertigen könnten. Hinzu kommt, wie die Bekl. selbst anläßlich der vom VG im Augenscheinstermin getroffenen Feststellungen eingeräumt hat, daß bei feuchter Witterung eine optische Unterscheidung zwischen einem polierten und einem geschliffenen Grabstein mit Mattschliff Korn 220, wie ihn die Bekl. zuläßt, nicht möglich ist. Der von der Bekl. unerwünschte Spiegelungseffekt polierter Grabsteine wird nur bei trockener Witterung sichtbar, Aber auch dann ist der Unterschied, wonach sich der Senat anhand der vom Vertreter des Friedhofsamts in der mündlichen Verhandlung vorgelegten beiden Steine überzeugt hat, gering. Das Aufstellen polierter Grabsteine darf daher nicht verboten werden, sofern der Friedhofsbenutzer nicht auf einem anderen gleichwertigen Gräberfeld desselben Friedhofs einen solchen Grabstein aufstellen kann.

Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird auch nicht durch eine Dispensregelung in der FO der Bekl. Rechnung getragen. Nach § 15 Abs. 8 FO kann die Bekl. zwar unter Berücksichtigung der Gesamtgestaltung des jeweiligen Friedhofs und im Rahmen von Abs. 1 Ausnahmen von den Vorschriften der Abs. 37 zulassen. Dem Anspruch der Grabnutzungsberechtigten auf eine ungebundene, lediglich den allgemeinen Gestaltungsvorschriften unterworfene Grabgestaltung wird mit dieser Ermessensvorschrift jedoch nicht ausreichend Rechnung getragen. Im übrigen räumt die Bekl. selbst ein, daß sie Ausnahmen von dem Verbot, polierte Grabsteine aufzustellen, auch für die Einwohner der Gemeinde M. grundsätzlich nicht gewährt, da ansonsten das Verbot leerlaufen würde. Ein derartiger Anspruch ergibt sich auch nicht aus einer anderen Satzungsbestimmung. Es ist auch nicht möglich, der Ermessensvorschrift in § 15 Abs. 8 FO angesichts ihres Wortlauts im Wege gesetzeskonformer und verfassungskonformer Auslegung den Inhalt zu geben, daß Anträgen von Grabnutzungsberechtigten auf Zustimmung zur Aufstellung eines polierten Grabsteins entsprochen werden muß. Die gesetzeskonforme und verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie zu dem Wortlaut der Norm und dem klar erkennbaren Willen des Normgebers im Widerspruch stünde. Die Auslegung darf nicht dazu führen, an die Stelle einer Satzungsbestimmung eine andere zu setzen; der normative Gehalt einer Vorschrift darf nicht erst durch die Auslegung festgesetzt werden. Wird durch eine Satzung der Ausübung von Grundrechten ein Genehmigungs- bzw. Zustimmungsverfahren vorgeschaltet, so muß sieh aus der Rechtsvorschrift selbst ergeben, welche Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung gegeben sein müssen oder aus welchen Gründen die Genehmigung versagt werden darf. Fehlen derartige tatbestandsmäßige Feststellungen der Genehmigungsvoraussetzungen für ein Abweichen von den besonderen Gestaltungsvorschriften der FO, so kann dieser Mangel nicht im Wege gesetzeskonformer und verfassungskonformer Auslegung behoben werden.
 

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