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Vortrag vom 25.11.1998 in der Stadthalle Wuppertal anläßlich einer Veranstaltung des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalens: Neue Kultur im Umgang mit Tod und Trauer

Leitlinien
einer neuen Kultur
im Umgang mit
Tod und Trauer

Norbert Fischer, Hamburg:

Dr. Norbert Fischer, Uni Hamburg
                

I. Die Enteignung des Todes

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts ist es zu einem bemerkenswerten Aufbruch im Umgang mit dem Tod gekommen. Der Tod scheint wieder zu einem Ereignis von gesellschaftlicher Bedeutung zu werden. Die Ausdrucksformen der Trauer werden zunehmend aus den Fesseln der Routine befreit, ihre Palette wird bunter. Neue Orte von  Trauer und Erinnerung entstehen.

Dieser Aufbruch ist umso erstaunlicher, als gerade der Umgang mit Sterbenden und Toten in gefühlloser Routine erstarrt zu sein schien. Sie resultierte aus jener Funktionalität technisch-organisatorischer Abläufe, die die Bestattungskultur des 20. Jahrhunderts bisher beherrschte. Der “einfache Abtrag”, wie die Bestattung ohne Feier im Branchenjargon heißt, schien gerade in den letzten Jahrzehnten immer häufiger geworden, die Trauer aus dem öffentlichen Leben fast verschwunden zu sein.

Wer nach Erklärungen fragt, dem wird häufig mit der griffigen Formel von der “Verdrängung des Todes” geantwortet. Diese Verdrängungsthese ist regelrecht zu einem Klischee geworden, weil sie eine einfache und bequeme Erklärung bietet. Tatsächlich aber erweist sich das, was so gern als “Verdrängung des Todes” bezeichnet wird, als eine funktionale Zergliederung. Krankenhaus und Pflegeheim, Friedhofsbürokratie und Bestattungsunternehmen haben den Tod unter sich aufgeteilt, sind zum Herrscher über die Sterbenden und Toten geworden  den Kirchen wird zumindest in größeren Städten kaum mehr als eine Statistenrolle zugebilligt. Der Umgang mit Sterbenden und Toten ist eingereiht worden in ein System, das der Funktionalität größeren Wert zumißt als dem Recht auf Selbstbestimmung. Der Tod in der modernen Gesellschaft ist also nicht verdrängt, sondern den Menschen aus der Hand genommen, ja, enteignet worden.

Diese Enteignung des Todes hat ihre Geschichte. Sie setzt um 1800 ein und ist von dem Versuch geprägt, im Umgang mit den Toten eine spezifisch bürgerlich-aufgeklärte Form von Rationalität durchzusetzen. Die wichtigsten Stichwörter lauten Technisierung und Effizienz; der Einfluß der Kirchen ging dabei immer weiter zurück. Bereits die ersten Leichenhallen um 1800 zeigten, daß man medizinisch-hygienischen Argumenten einen höheren Stellenwert einräumte als der Aufbahrung im Familienkreis. Nachdem 1878 das erste von vielen weiteren Krematorien in Deutschland entstanden war, überantwortete man den Leichnam immer häufiger einem Techniker. Mit dem Aufkommen privater Bestattungsunternehmen entwickelte sich der Tod zu einem Dienstleistungsgeschäft  später wurden immer mehr Aufgaben an die Bestatter delegiert. Friedhofsverwalter reglementierten die Gestaltung der Grabstätten: Seit dem frühen 20. Jahrhundert entwickelten sich die Friedhöfe zu funktionalen Anlagen mit Grabsteinen, deren Größe und Aussehen bis heute streng normiert sind. All diese  und ähnliche  historischen Entwicklungen trugen dazu bei, daß der Tod zergliedert und den Menschen aus der Hand genommen wurde.

II. Selbstbestimmung, Anteilnahme und Kreativität:
    Bausteine einer neuen Kultur

Gleichwohl besteht kein Anlaß zum Pessimismus. Neben aller funktionalen Routine haben sich neue Muster im Umgang mit dem Tod entwickelt. Zwischen Tod und Leben sind neue gesellschaftliche Bindeglieder entstanden.

Als Katalysator eines anderen Umgangs mit dem Tod spielen einzelne gesellschaftliche Bewegungen, wie die AIDS-Selbsthilfegruppen und ihr Umfeld, eine besonders wichtige Rolle. Die Katastrophe AIDS läßt den Tod im Alltag vieler, gerade junger Menschen präsent werden. Wohl deshalb ist der Umgang mit Sterben und Tod unter AIDS-Kranken und Homosexuellen von besonderem Mitgefühl und besonderer Anteilnahme geprägt. Der Vertreter einer AIDS-Selbsthilfegruppe faßte seine persönliche Anteilnahme einmal in folgendem Versprechen an einen Freund zusammen: “Ich kümmere mich um dich, bis du gut unter der Erde liegst.”

Diese Anteilnahme wird beispielsweise durch Gemeinschafts-Grabstätten dokumentiert, die viele AIDS-Tote vor einer anonymen Sozialbestattung bewahren. Pflastersteine mit den Namen von AIDS-Toten, die in den Boden städtischer Plätze eingefügt wurden, bilden neuartige Orte von Trauer und Erinnerung. Zugleich wird mit neuen Ausdrucksformen und Ritualen bei der Bestattung experimentiert. Eine fast spielerisch bunte Palette ist entstanden, die inzwischen weit über das eigene Umfeld hinauswirkt und die gedankenlose Bestattungsroutine aufzubrechen hilft.

Wie unter AIDS-Kranken, so haben sich  auch in anderen gesellschaftlichen Gruppen  neue Formen der Solidarität entfaltet. Zu den bedeutendsten Beispielen zählt die sich rasch ausbreitende Hospizbewegung. Gegen die medizintechnische Abschiebung der “Austherapierten” rückt sie den sterbenden Menschen in den Mittelpunkt. Die Hospizler beurteilen den Patienten nicht nach den Teilfunktionen seines Körpers, sondern nehmen ihn als Menschen in seiner letzten Lebensphase auch dann ernst, wenn die ärztliche Heilkunst ausgedient hat. Sie fordern ein menschenwürdiges Sterben und praktizieren Sterbebegleitung statt Ausgrenzung.

Was den Menschen bereits aus der Hand genommen zu sein schien, wird also durch diese  und viele andere  Initiativen auf ermutigende Weise zurückerobert: der selbstbestimmte Tod. Dies ist das Fundament einer neuen Kultur im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer.

Daraus wird auch jene spielerische Phantasie und Kreativität gespeist, die zu neuen kulturellen Ausdrucksformen führt. Es gibt mittlerweile zahlreiche Beispiele, die am Ende des 20. Jahrhunderts von einem gegen den Konfektions-Tod gerichteten Trend zeugen. Immer mehr Menschen lehnen Trauerfeiern ab, deren Rahmen vom Stundentakt der kommunalen Leichenhallen diktiert wird. Für eine Auflockerung der bislang herrschenden Routine hat nicht zuletzt der Einfluß anderer Kulturen und Religionen gesorgt. So werden etwa die moslemischen Bestattungstraditionen auf immer mehr städtischen Friedhöfen berücksichtigt, obwohl sie nicht selten den bürokratischen Vorschriften entgegenstehen.

Auch viele Bestattungsunternehmen stellen sich auf den neuen, kreativeren Umgang mit Tod und Trauer ein. Würdevoll gestaltete Abschiedsräume ermöglichen ein letztes Beisammensein, das nicht auf zehn Minuten begrenzt bleibt. Bestehende Rituale werden durch Innovationen ergänzt oder abgelöst. Hinterbliebene werden aufgefordert, ihren Toten selbst das Sterbekleid anzulegen und den Sarg selbst anzumalen. Den Angehörigen wird angeboten, die Trauerfeiern in eigener Regie zu gestalten. Neu ist ebenfalls, daß Bestatter ihre Dienstleistung auf die Betreuung der Trauernden ausweiten, ja, sich als Vermittler kultureller Traditionen verstehen und entsprechende Informationsarbeit betreiben.

Ein Beispiel ganz eigener Art bietet die 1991 gegründete Kölner Bestattungsge- nossenschaft “Begleitung”. Sie beruht auf dem alten Gedanken der solidarischen Selbsthilfe, der früher die Bestattungen in Handwerkerzünften und Arbeiterorganisationen prägte. Diese Bestattungs-Genossenschaft versteht den Tod nicht in erster Linie als technisch-organisatorisches, sondern als psychosoziales Problem.

All diese Beispiele demonstrieren vor allem eines: Daß das zutiefst humane Anliegen, den Menschen in ihrem Sterben und ihrem Tod beizustehen, nicht gänzlich verschüttet worden ist. Dies ist ein soziales Kapital, das sich widerborstig zeigt gegenüber der manchmal zynischen Routine, wie sie aus einem rein funktionalen Umgang mit dem Tod entsteht. Es wird gespeist von dem gemeinsamen Ziel, den Tod nicht jenen zu überlassen, denen Funktionalität oder Geschäftssinn wichtiger sind als ein menschenwürdiger Abschied.

So beruht der neue Umgang mit Tod und Trauer auf einer Haltung, die auch im Leben, im gesellschaftlichen Alltag von Selbstbestimmung und Anteilnahme geprägt ist  und nicht zuletzt vom persönlichen Engagement im konkreten Einzelfall.

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