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Bestatter in Deutschland

Entwicklungen der Bestattungskultur unter europäischen Aspekten

Von Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg)

Vortrag auf dem Fachkongreß eternity 2000, Berlin, 12. April 2000

 

Der Tod einer Prinzessin

Der Tod, so scheint es zu Beginn des neuen Jahrtausends, wird allmählich wieder zu einem öffentlichen Ereignis. Dies wurde im europäischen Maßstab – so befremdlich es zunächst klingen mag - vielleicht durch nichts deutlicher als durch die medienwirksam inszenierte Trauer um die tödlich verunglückte Prinzessin Diana im Herbst 1997, also vor zweieinhalb Jahren. Damals hatte jene emotionale Leere, die aus der herrschenden Routine im Umgang mit dem Tod resultierte, eine Kompensation gefunden. Das Maß an Aufmerksamkeit, daß diesem Todesfall gewidmet wurde, zeigt, daß es nur eines Ventils bedurfte, um den in der allgemeinen Bestattungsroutine fast erstickten Gefühlen neuen Ausdruck zu verleihen. So sollten wir den Kult um den Tod der Prinzessin, auch wenn er uns manchmal “kitschig” erschien, vor allem als Hinweis auf ein Bedürfnis nach offener, vorzeigbarer Trauer verstehen. Dieses Bedürfnis sucht sich neuerdings immer häufiger seinen individuellen Ausdruck - wir wir sehen werden, eher in einigen unserer europäischen Nachbarländer als in Deutschland.

Einige Trends neuer Bestattungskultur in Europa

Niederlande

Ein immer wieder zitiertes Musterbeispiel bieten die Niederlande, die in den letzten Jahren bekannt wurden für ihre innovative Bestattungskultur. Der zunächst wichtigste Unterschied zu Deutschland liegt darin, daß Friedhöfe und Krematorien sowohl

 Dr. Norbert Fischer: Vortrag zur
 Eröffnung der “Eternity 2000” in
 Berlin.
              
Foto: Bernd Bruns, postmortal.de

kommunal als auch privatwirtschaftlich betrieben werden. Im übrigen ist der Anteil der Kremationen mit 50% sehr hoch. Die Krematorien – gleichviel, ob privat oder kommunal – offerieren ein wesentlich breiteres Dienstleistungsangebot als hierzulande: Wer will, kann die Trauerfeier von Bongo-Trommeln oder Multimedia-Technik, lauter Rock- oder leiser Harfenmusik, aber auch von einer Laser-Show begleiten lassen. Zur Beisetzung stehen sowohl Urnenhaine und Kolumbarien als auch ansprechend gestaltete Aschenstreuwiesen bereit - oder man nimmt die Asche mit nach Hause (übrigens kann die Aschenausstreuung auch als “Luftbestattung” per Flugzeug über dem Meer ausgeführt werden). Auch Halsketten sind im Angebot, in deren Herzchen, Kugeln und Kreuzen sich Asche einfüllen läßt. Die stark kundenorientierten, sich als Dienstleister verstehenden  Krematorien offerieren darüber hinaus spezielle Empfangs- und Kondolenzräume, Aulen und Kapellen für Trauerfeierlichkeiten, Musikberatung und Musikervermittlung. Mit der sogenannten “koffiekamer” gibt es eigene Räume für den Leichenschmaus, der – auch dies ist aufschlußreich und für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich - in der Regel während der Einäscherung stattfindet. Ansonsten kann man auch der Einäscherung direkt beiwohnen. Die Bestattungszeiten werden flexibler als in Deutschland gehandhabt, beispielsweise sind Samstagsbestattungen durchaus möglich. Viele Friedhöfe bieten eine Videoaufzeichnung der Trauerfeier an.

Auch die niederländische Grabmalkultur ist vielfältiger als die deutsche, weil die Phantasie nicht von rigiden Reglements erstickt wird. Es gibt zahlreiche Varianten der halbanonymen Beisetzung. Bekannt wurde der Gemeinschaftsbegräbnisplatz für die Fans des Fußballvereines Ajax Amsterdam. Rasensoden des alten Ajax-Stadions wurden ausgestochen und auf dem Amsterdamer Friedhof Westgaarde zu einer Aschenstreuwiese neu zusammengelegt - die an der Bande befestigten Namenstafeln haben konsequenterweise die Form eines Fußballs. Niederländische Kindergräber wirken in ihrer Verspielheit und Objektfreudigkeit oft wie kleine Spielzimmer. 

Diese und andere Zeichen einer für deutsche Verhältnisse ungewöhnlichen Offenheit und Vielfalt finden seit langem auch ihren publizistischen Niederschlag. Bereits 1989 erschien ein Buch, das praktische Tips für selbstgestaltete Bestattungen gibt und an alle gerichtet ist, die unkonventionell leben und unkonventionell sterben möchten ... Auch die Zeitschrift “Doodgewoon” (“Sterbensgewöhnlich”) kündet von einem eher unverkrampften Umgang mit Sterben und Tod. Als Forum moderner Abschiedskultur gedacht, wendet sich das quartalsweise erscheinende und ansprechend illustrierte Blatt an eine breite Öffentlichkeit - mit Erfolg, wie es scheint, denn schon kurz nach Erscheinen verzeichnete das Blatt mehrere tausend Abonnenten. Vielleicht liegt es auch an den praktischen Tips, wie der Anleitung zum Selbstbau eines Sarges, daß “Doodgewoon” auf so viel Interesse stößt. Überhaupt scheint der eigene Sarg immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken: 1996 schrieb die Niederländische Beerdigungs- und Versicherungsgesellschaft einen Wettbewerb zur Sarggestaltung aus. Immerhin 87 Künstler beteiligten sich daran und setzten so ein Zeichen gegen einfallslose Standardsärge. Bereits gelungen ist dies sicherlich einer Erfindung aus dem englischen Bristol: Dort wurde ein sogenannter Dual-Use-Sarg konstruiert, ein doppelt verwendbarer Sarg: Zu Lebzeiten dient er als Bücherschrank oder Weinregal, bevor er die sterblichen Überreste seines Besitzers aufnimmt.

Dänemark

Auch in Skandinavien sind die Friedhöfe vom hohen Anteil an Feuerbestattungen bzw. anonymen Bestattungen geprägt. Viele großstädtische Friedhöfe zeigen weite, von Grabmälern freie Rasenflächen. Dies gilt nicht zuletzt für Dänemark - obwohl das Bestattungswesen zum größten Teil in Händen der Kirche liegt. Rund 70% aller Toten werden in unserem nördlichen Nachbarland eingeäschert. Entsprechend spielen die Krematorien – zwei Drittel von ihnen werden von der Kirche betrieben - und Urnenfriedhöfe eine noch größere Rolle als bei uns. Das Friedhofswesen ist liberaler, das heißt: viel weniger von Reglementierungen geprägt. Weil zudem die Grabsteine im Vergleich zu Deutschland recht preiswert sind, werden häufig individuell kreierte Steine aufgestellt. Ein weiterer Unterschied: Aschenkapseln sind keine Pflicht, daher gibt es mehr Spielraum zur Gestaltung der Urnen. Nicht selten werden die Urnen von Hinterbliebenen selbst bemalt.

Schweiz

In der Schweiz hat die Idee der Naturbestattung neue Formen angenommen. Im vergangenen Jahr ist der erste sogenannte “Friedwald” eingerichtet worden, genauer gesagt: in Mammern im Kanton Thurgau (ein zweiter befindet sich im Seebachtal, weitere sieben sind in Vorbereitung). Rein äußerlich ist von einem Bestattungsplatz wenig zu erkennen. Die Idee dieses von einem Verein betriebenen “Friedwaldes” liegt darin, die Aschenbestattung mit landschaftlich schöner Umgebung, vor allem aber mit Bäumen zu verbinden (in der Schweiz kann die Asche nämlich an jedem beliebigen Ort beigesetzt werden). Die menschlichen Überreste werden mittels einer Röhre in einen bestimmten, zuvor käuflich erworbenen und dann im “Friedwald” gepflanzten Baum eingelassen. Kleine Hinweistäfelchen an den Bäumen sind vorgesehen. Eine andere Form der “Naturbestattung” wird auf der Alp Spielmannda (Freiburgerland) praktiziert. Diese Alp wird von einem Verein als “Natur- und Grabstätte” geschützt. Die Asche wird ohne Urne im Mittelteil der Alp, der von Alpenrosenbüschen bewachsen ist, ohne Erinnerungszeichen beigesetzt und anschließend der Natur überlassen.

Großbritannien

Teilweise ganz ähnliche Ziele verfolgt das 1991 in Großbritannien gegründete Natural Death Centre. Es fördert die Einrichtung sogenannter Nature Reserve Burial Grounds (Naturfriedhöfe). Auf diesen “grünen” Begräbnisplätzen, die ebensowenig wie das Schweizer Beispiel mit den in Deutschland bekannten Waldfriedhöfen zu verwechseln sind, kommt ein Baum statt eines Grabsteins auf jede Ruhestätte. Kein Bestattungsmonopol behindert hier, wie in Deutschland, solche Aktivitäten. Im übrigen unterstützt das Natural Death Centre häusliches Sterben ebenso wie selbstorganisierte Bestattungen. Der Öffentlichkeitsarbeit dient der jährliche English Day of Dead, der jeweils am zweiten Sonntag in April veranstaltet wird. Zu den Schwerpunktthemen gehörten in den 90er Jahren unter anderem “Kunst und Musik” sowie “Bestattungsrituale”.

Übrigens ist auch in Großbritannien das private Verstreuen der Asche möglich - wo immer man möchte. Von einer solchen Reise mit der Aschenurne handelt der Roman “Letzte Runde” des britischen Schriftstellers Graham Swift. Ziel ist die südenglische Küste, wo - so der Wunsch des Verstorbenen - die Asche von seinen vier Freunden ins Meer gestreut werden soll. Aus der Sicht eines der Protagonisten stellt sich das Finale an der Mole wie folgt dar: “ ... und sie alle stellen sich auf der Leeseite an die Brüstung und strecken ihre fest geschlossene Hand aus, als hielte jeder einen kleinen Vogel drin, den er freilassen will, und wir müssen es alle zusammen tun, deshalb warten sie auf mich. ... Die Asche ist weich und gleichzeitig körnig und fast weiß, wie weißer, weicher Sand von einem Strand. Dann zieh ich die Hand ganz schnell raus und werfe. Sie müssen alle zur gleichen Zeit geworfen haben, aber ich sehe nicht zu ihnen hin, ich sehe dem nach, was ich geworfen habe. Ich sage: ‘Leb wohl, Jack.’ Ich sage es zum Wind. Und sie sagen: ‘Leb wohl, Jack’.”

Zum Vergleich: Japan

Besonders markant ist der Aufbruch zu neuen Ufern – um auch einmal den Blick in andere Kontinente zu werfen - in Japan. Stärker als anderswo sind hier Bestattung und Trauer mit alten Traditionen verflochten gewesen, die auf den herrschenden engen familiären Bindungen basieren. Der daraus resultierende zeremonielle Aufwand führte in der Regel zu hohen Beisetzungskosten. Aber seit den achtziger Jahren gibt es, wie die Japanologin Elfriede Heider schreibt, einen neuen gesellschaftlichen Trend, der die familiären Bindungen und traditionellen Vorschriften zunehmend als Fesseln betrachtet. 1993 hat sich eine Vereinigung gebildet, die das Ziel selbstbestimmter, das heißt von der Überlieferung unabhängiger Bestattungen verfolgt. Statt des traditionellen Familiengrabs werden frei wählbare Einzelgräber in kollektiven Grabanlagen angeboten. Auch hier spielen finanzielle Fragen eine wichtige Rolle. In Japan sind nämlich nicht nur die traditionellen Zeremonien kostenträchtig, sondern - wegen des knappen Platzes in den Städten - auch die Grabstellen.

“Einfacher Abtrag”: Die Entwicklung in Deutschland

Und in Deutschland? Der “einfache Abtrag”, wie die Bestattung ohne Feier im Branchenjargon heißt, war gerade in den letzten Jahrzehnten immer häufiger geworden. Die Trauer schien aus dem öffentlichen Leben fast verschwunden zu sein. Auch die bis heute wachsende Ausbreitung der anonymen Beisetzung zeugt davon, daß der Tod eher als pragmatisch zu lösendes Problem betrachtet wird denn als Anlaß zu aufwendigen Trauerrzeremonien. Die Vorherrschaft technischer Abläufe hat die Bestattung größtenteils in funktionaler Routine erstarren lassen.

Wer nach Erklärungen für diese Entwicklung fragt, dem wird häufig mit der griffigen Formel von der “Verdrängung des Todes” geantwortet. Diese Verdrängungsthese ist zu einem regelrechten Klischee geworden, weil sie eine einfache, bequeme Erklärung bietet. Tatsächlich aber erweist sich das, was so gern “Verdrängung” genannt wird, als die Zerlegung des Todes in funktionale Einzelelemente. Krankenhaus und Pflegeheim, Bestattungsunternehmen und Friedhofsbürokratie haben den Tod unter sich aufgeteilt. Kurzum: Der Umgang mit den Toten wurde eingereiht in ein System, das der Funktionalität größeren Wert beimißt als dem Recht auf Selbstbestimmung. Der Tod in der modernen Gesellschaft ist also nicht verdrängt, sondern den Menschen aus der Hand genommen worden.

Es lohnt sich, einen kurzen Blick zurück in die Geschichte der letzten 200 Jahre zu werfen, um die heutigen Zustände zu begreifen.. In der Zeit um 1800 begann der Versuch, den Umgang mit den Toten zu “rationalisieren”. Die entsprechenden Stichwörter lauten Hygiene, Technik und Effizienz – und dies  veränderte den Umgang mit dem Tod grundlegend. Es war die Zeit, als die meisten innerstädtischen Friedhöfe aus Gründen der Hygiene vor die Stadttore, nach außerhalb, verlegt wurden. Auch die Einrichtung von städtischen Leichenhallen im 19. Jahrhundert zeigte, daß man medizinisch-hygienischen Argumenten künftig einen höheren Stellenwert einzuräumen gedachte als der Tradition häuslicher Aufbahrung. 1878 wurde das erste von den heute über 100 Krematorien in Deutschland errichtet – danach übergab man den Leichnam immer häufiger einem Techniker zur Bestattung. Die Feuerbestattung entsprach dem Stand moderner industrieller Technik, sie war zudem hygienisch, schnell und preiswert – kurzum: sehr effizient. Deswegen wurde sie innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer verbreiteten Bestattungsart.

Das etwa zeitgleiche Aufkommen privatwirtschaftlicher Bestattungsunternehmen machte aus dem Tod ein Dienstleistungsgeschäft – immer mehr Aufgaben wurden nach und nach an die Bestatter delegiert. Die Hinterbliebenen verloren den Einfluß auf den Umgang mit den Toten. Dies wurde auch darin deutlich, daß im späten 19. Jahrhundert großstädtische Begräbnisplätze als Zentralfriedhöfe kilometerweit von den Stadtzentren entfernt angelegt wurden. Sie waren nur noch mit Bahn, Pferdeomnibus oder Kutsche zu erreichen, später mit dem Automobil.

Selbst die eigene Grabstätte wurde bürokratisch reglementiert. Seit dem frühen 20. Jahrhundert entwickelten sich die Friedhöfe vielfach zu monotonen Gräberfeldern, deren Größe und Aussehen bis heute streng normiert ist. “Friedhofs- und Grabmalreform” lauten die Stichwörter für diese Entwicklung, die seit den 1920er Jahren um sich gegriffen und zum eher langweiligen Standardgrabmal geführt hat. Raum für Individualität und Kreativität blieb nur in Ausnahmefällen - die neuen, bürokratisch-strengen Grabmalvorschriften wurden rigoros durchgesetzt.

Insgesamt bewirkten diese historischen Entwicklungen, daß Tod und Trauer in einzelne Elemente und Teilabläufe zerlegt wurden. Diese Elemente wiederum wurden zunehmend fremdbestimmt, den Menschen aus der Hand genommen.

Zu den Verlierern dieser Entwicklung zählen sicherlich die Kirchen. Einst waren Tod und Bestattung ihre ureigene Domäne: die Kirchen verwalteten Friedhöfe, christliche Liturgien dominierten die Bestattungsrituale. Inzwischen jedoch haben häufig weltliche Instanzen ihre Funktion übernommen – den Städten und Gemeinden gehören die Friedhöfe, nicht-kirchliche Trauerredner gestalten die Bestattungsfeier und bieten Begleitung auf dem “letzten Weg”.

Natürlich gibt es auch in Deutschland neuerdings immer mehr Versuche, die Routine im Bestattungswesen zu durchbrechen. Viele Beispiele zeugen zu Beginn des 21. Jahrhunderts von einem gegen den Konfektions-Tod gerichteten Trend. Särge werden bunt angemalt. Immer mehr Menschen lehnen Trauerfeiern ab, deren Rahmen vom Stundentakt der kommunalen Leichenhalle diktiert wird. Musik und Musiker werden von den Angehörigen immer häufiger selbst gestellt. Manchmal werden Trauerfeiern sogar wieder in Kirchen statt Leichenhallen abgehalten - zum Leidwesen der um ihre Einnahmen besorgten kommunalen Friedhofsverwaltungen. Aber auch diese machen sich zunehmend Gedanken um eine bessere Vermarktung: In Hamburg-Ohlsdorf wurden stilvolle Kolumbarien zur Urnenbestattung neu errichtet, auf dem Rostocker Westfriedhof kann man sich sich – Relikt alter DDR-Zeiten – an der Besonderheit einer “Aschenstreuwiese” erfreuen.

Ein Bedürfnis nach Veränderung im Bestattungswesen ist tatsächlich vorhanden. Wie eine Umfrage aus dem Jahr 1998 zeigt, wünschen beispielsweise 25% der Bevölkerung, daß man sich die Grabstätte so gestalten, wie man will. Immerhin ein Fünftel aller Deutschen möchte die Asche von Verstorbenen mit nach Hause nehmen können. Dies wird derzeit noch durch die Bestattungsvorschriften verhindert. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die teilweise bereits begonnene oder demnächst jedenfalls zu erwartende Liberalisierung der Friedhofs- und Grabmalvorschriften hier neue Freiräume und Alternativen schafft. Die im vergangenen Jahr publizierte Doktorarbeit des Juristen Tade M. Spranger hat ja gezeigt, daß die in Deutschland so strengen Gestaltungsvorschriften auf Friedhöfen rein rechtlich kaum zu halten sind, weil sie die Persönlichkeitsrechte einschränken. Und auch die in Friedhofsfragen maßgebliche Kasseler Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal plädiert in ihren jüngst veröffentlichten neuen Richtlinien für mehr Flexibilität: für größtmögliche Spielräume bei den Grabstätten, mehr Offenheit gegenüber individuellen Grabbeigaben sowie für eine Erweiterung der Bestattungszeiten auf den Samstag und die Abend- und Nachtstunden.

Für ganz andere Farbtupfer im deutschen Bestattungswesen sorgen seit einiger Zeit islamische Bestattungen. Immer mehr Moslems wollen nach dem Tod nicht mehr in ihr Heimatland überführt werden. Vor allem bei Türken sind die sozialen Bindungen in Deutschland sehr stark geworden. Von Aachen bis Wuppertal - in zahlreichen Städten gibt es mittlerweile islamische Gräberfelder, deren Einrichtung in den religiösen Vorschriften begründet liegt. Wie der Religionswissenschaftler Thomas Lemmen schreibt, dürfen Moslems nur zusammen mit Glaubensbrüdern beigesetzt werden. Die Toten müssen mit unbegrenzter Ruhefrist gen Mekka liegen. Zu den islamischen Bestattungszeremonien gehört auch, daß der Tote durch Familienangehörige rituell gewaschen, in Leinentücher eingewickelt und zum Totengebet aufgebahrt wird. Die rituelle Waschung kann im Krankenhaus, in den Räumen des Bestattungsunternehmens oder auf dem Friedhof vorgenommen werden. Inzwischen werden die entsprechenden Räumlichkeiten auch in Deutschland meist zur Verfügung gestellt. Schwieriger wird es bei dem hierzulande vorgeschriebenen Sarg - nach islamischen Ritual werden nämlich die Toten in Leinentüchern beigesetzt, um die Auferstehung zu ermöglichen. Aber auch hier zeigt die deutsche Friedhofsbürokratie neuerdings immer mehr Flexibilität. In Hamburg ist beispielsweise seit 1998 die Bestattung im Tuch erlaubt.

Zum Schluß: “ ... etwas mehr Farbe”

Dies alles sind Ansätze, die auch in Deutschland in Richtung eines vielfältigeren Umgangs mit den Toten gehen. Es gibt also guten Grund zur Hoffnung auf einen Aufbruch, Grund zur Hoffnung, daß doch nicht alle Gefühle durch die funktionale Routine rein technischer Abläufe erstickt worden sind. Die oben zitierte Umfrage hat gezeigt, daß sich bis zu einem Viertel der Deutschen andere Formen der Bestattung wünschen als die heute vorherrschenden. Die europäischen Nachbarländer haben hier Anschauungsunterreicht geliefert, wie das Bestattungswesen bunter und vielfältiger gestaltet werden kann. Neue Formen der Trauer sind entstanden - auch neue Orte, abseits der uns bislang geläufigen Friedhöfe und Grabstätten. Vielleicht geht auch in Deutschland bald in Erfüllung, was ein Besucher am 12. April 1995 ins Gästebuch des Kasseler Museums für Sepulkralkultur schrieb: “ ... daß Sterben zum Leben gehört, das heißt: auch hier darf ruhig etwas mehr Farbe bekannt werden.”

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