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Gesellschaftliche Wege und Perspektiven
einer neuen Bestattungskultur

(Vortrag im Rahmenprogramm der Fachmesse “eternity 99”,
Hamburg, Messehallen, 19. Juni 1999 )

Von Dr. Norbert Fischer

Tod, Bestattung und Trauer – ein Themenkomplex,

der in den letzten Jahren enorm an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen hat. Jene funktionale Routine, die den Umgang mit dem Tod jahrzehntelang beherrschte, ist immer stärker aufgebrochen worden. Dies ist eng verflochten mit grundlegenden gesellschaftlichen Wandlungsprozessen. Gemeint ist die wachsende Auflösung fester sozialer Bindungen (Ehe, Familie, kirchliche Glaubensgemeinschaften), die wachsende Mobilität der Menschen und – damit verbunden - der Verlust jener  “festen” Orte, denen wir uns bisher verbunden gefühlt haben. Gerade diese Aspekte des gesellschaftlichen Wandels haben weitreichende Folgen für die künftige Bestattungskultur.

     Bevor ich dies ausführlicher erläutere, erlauben Sie mir kurz darauf einzugehen, was die Bestattungskultur in der Vergangenheit so routinehaft, langweilig gemacht hat. Der “einfache Abtrag”, also die Bestattung ohne Feier, wurde ja immer häufiger. Aus dem öffentlichen Leben schien Trauer in den vergangenen Jahrzehnten fast gänzlich verschwunden zu sein – wenn es nicht gerade um die fernsehgerechte Bestattung von Prominenten geht. Schwarze Kleidung am Arbeitsplatz wird bis heute mit Verwun- derung zur Kenntnis genommen, ja als Störfaktor betrachtet. Die Reglementierungswut auf deutschen Friedhöfen führte zur gepflegten Langeweile bei der Grabstättengestaltung. Individuellere Varianten von Bestattung und Trauer blieben eine Ausnahme. Um die individuelle Gestaltung von Grabstätten auf deutschen Friedhöfen durchzusetzen, mußten angesichts der starren Bestimmungen gar immer wieder die Gerichte bemüht werden. Kurz gesagt: Im Umgang mit dem Tod schien eine Art “Dienst nach Vorschrift” zu herrschen, das Totenbrauchtum ein – wie Wolfgang Neumann urteilt - “knochentrockenes Gerüst” zu sein  ....

     Dies war das Ergebnis jener funktionalen Zergliederung des Todes, wie sie sich im 20. Jahrhundert entfaltet hat. Friedhofsbürokratie und Bestatter, Kirchen und Trauerredner teilten den Tod unter sich auf und zergliederten ihn in einzelne Segmente. Damit ist der Tod den Menschen aus der Hand genommen und funktionalisiert worden.

     Die zunehmende Zahl anonymer Beisetzungen scheint da nur ein konsequentes Ergebnis dieser Entwicklung zu sein – ist die anonyme Beisetzung auf gewisse Art doch die “funktionalste” Bestattungsform: billig, praktisch, pflegeleicht. Zugleich signalisiert die anonyme Beisetzung mehr als nur Veränderungen im Bestattungswesen. Sie ist die sepulkrale Ausdrucksform einer mobilen Gesellschaft, in der die besondere, gefühlsmäßige Bindung an bestimmte Orte der Erinnerung, wie zum Beispiel Grabstätten, eine immer geringere Rolle spielt. Dahinter steht die oben bereits erwähnte Auflösung bisheriger Formen zwischenmenschlicher Beziehungen. Familie, soziale Schichten, die klassische lebenslange Berufslaufbahn - alles, was festgefügt schien, ist in Bewegung geraten.

     Stattdessen scheint langsam aber sicher eine Welt zu entstehen, in der “Lebensstile ausgewählt, persönliche Identitäten ... ständig neu konstruiert werden”, wie der britische Soziologe Anthony Giddens feststellt. Sein amerikanischer Kollege Richard Sennett stimmt diesen Erkenntnissen zu, wenn er in seinem neuen Buch das Ende des – räumlich gesehen – festen Arbeitsplatzes prognostiziert. Die sich rasant verbessernden Kommunikationsmöglichkeiten über alle räumlichen Grenzen  hinweg führen zur Verlagerung von Arbeit in die Privatwohnung oder an beliebige andere Orte.

     All dies hat Folgen für Tod, Bestattung und Trauer. Schon die anonyme Beisetzung ist Ausdruck dieser gesellschaftlichen Zäsur, in deren Folge die bisher gewohnte Vorstellung, sich in dauerhaften Grabdenkmälern für die Nachwelt in Erinnerung zu halten, abgelöst wird durch das Flüchtige, Unstetige, Nicht-Seßhafte (nach Zygmunt Bauman). Wer aber nicht nach dauerhafter Erinnerung sucht, braucht auch keine Grabsteine mehr.

     Die anonyme Beisetzung ist Ziel heftiger Kritik. Vom “Untergang der Friedhofs- und Bestattungskultur” ist die Rede. Der Kampf gegen die anonyme Beisetzung scheint zur letzten Schlacht um die abendländische Friedhofskultur auszuufern. In einigen Fällen sind die Motive leicht durchschaubar, weil sie rein finanzieller Natur sind - Steinmetze und Friedhofsgärtner fürchten, verständlicherweise, um ihre berufliche Existenz. Aber auch viele Kirchenvertreter wenden sich mit Vehemenz gegen die anonyme Bestattung. Ihre Polemik erinnert an den klerikalen Kampf gegen Krematoriumsbau und Einführung der Feuerbestattung vor rund 100 Jahren – ein Kampf, der letztlich ebenso vergeblich war wie der jetzige sein wird, denn der gesellschaftliche Wandel läßt sich durch “Kulturkampf” nicht aufhalten.

     Im übrigen verkennen all jene, die nun Weltuntergangsstimmung beschwören, daß in den gesellschaftlichen Veränderungen auch eine Chance zum Aufbruch und zur Innovation in der Bestattungskultur liegt. Die veränderten sozialen Beziehungen, die Auflösung der traditionellen Formen menschlicher Gemeinschaft, muß nicht automatisch das Ende aller Bestattungskultur bedeuten, sondern kann auch einen neuen Anfang verheißen. Damit komme ich zum Hauptteil meines Vortrags, der sich auf die gegenwärtigen und künftigen Veränderungen bezieht.

     Allenthalben regt sich nämlich auch Protest gegen eine allzu pragmatische Bestattungsroutine, gegen die gesellschaftliche “Unsichtbarkeit” von Trauer. Die Gegenbewegungen gegen den “konfektionierten Tod”, die sich in den letzten Jahren entfaltet haben, sind nicht mehr zu übersehen. Immer mehr Menschen nehmen die Gestaltung der Trauerfeier in die eigenen Hände, erproben neue Formen der Trauer- und Gedächtniskultur. Ihr “Traum vom anderen Tod” – das ist der Traum von einem selbstbestimmteren, reflektierteren, individuelleren Umgang mit Bestattung und Trauer. Die Folgen sind gerade Ihnen gut bekannt und müssen nicht näher erläutert werden: Särge werden bunt angemalt, Trauerfeiern in Eigenregie durchgeführt. Speisen und Getränke werden als “Totenmahl” direkt bei der Trauerfeier gereicht, Tänze und eigene Gesangsdarbietungen aufgeführt - und ähnliches mehr. Allerdings: Die eintönigen, ja gesichtslosen Trauerhallen werden diesen neuen Ansprüchen ebensowenig gerecht wie ihre häufig starre Regelung der Nutzungszeiten, die zum Beispiel keine Abend- oder Wochenendbestattungen erlauben.

     Zu den wichtigsten Säulen des neuen Umgangs mit dem Tod gehört die “ganzheitliche” Sicht. Sie bietet eine Alternative zu der vorhin diagnostizierten, historisch gewachsenen Zergliederung. Tod, Bestattung und Trauer werden zunehmend als etwas Zusammenhängendes betrachtet. Sie werden nicht mehr, wie früher, in einzelne Segmente aufgeteilt, die von unterschiedlichen Institutionen bzw. Dienstleistern betreut werden (Bestatter, Friedhofsverwaltung, Kirche etc.). Nicht zufällig widmen sich immer mehr Bestatter einer individuelleren, vom Stundentakt kommunaler Leichenhallen unabhängigen Trauerkultur, indem sie eigene Trauerräume einrichten. Nicht zufällig dehnen immer mehr Bestatter ihre Dienstleistung auch auf die Zeit nach der Bestattung aus, auf die Betreuung der Hinterbliebenen in der Zeit der Trauer also.

     Der Theologe und Politiker Rüdiger Reitz hat diese Tendenzen in seinen Thesen zur Reform des Bestattungswesens berücksichtigt, die er vor einiger Zeit publizierte. Gegen die funktionale Aufgliederung von Tod, Bestattung und Trauer fordert er eine “ganzheitliche” Sicht, gegen das oben beschriebene Aus-der-Hand-Nehmen des Todes fordert auch er einen selbstbestimmten Umgang mit Tod und Trauer.

      Diese ganzheitliche Sicht ist verbunden mit einer neuartigen Solidarität zwischen Lebenden und Toten. Dies hat sich im ablaufenden Jahrzehnt vor allem in der AIDS-Szene und ihrem gesellschaftlichen Umfeld gezeigt. Die Katastrophe AIDS hat den Tod im Alltag vieler, gerade junger Menschen präsent werden lassen. Wohl deshalb ist der Umgang mit Sterben und Tod unter AIDS-Kranken und Homosexuellen von besonderem Mitgefühl, von besonderer Anteilnahme geprägt. Der Tod wird ins Leben zurückgeholt.

     Es war nicht zuletzt auch die AIDS-Szene, die zuerst mit neuen Formen von Bestattung und Trauer experimentierte. Inzwischen ist eine fast spielerisch bunte Palette entstanden, die weit über das eigene Umfeld hinauswirkt und die gedankenlose Bestattungsroutine aufzubrechen hilft. Damit zählt die AIDS-Szene zu den wichtigsten Katalysatoren eines anderen, neuen Umgangs mit dem Tod. Was den Menschen bereits aus der Hand genommen zu sein schien, wird hier auf ermutigende Weise zurückerobert: der selbstbestimmte Umgang mit Tod und Trauer.

     Daneben sind es aber auch die bei uns lebenden Angehörigen fremder Kulturen, die Veränderungen eingeläutet haben. Vor allem die türkisch-moslemische Bevölkerung äußert immer häufiger den Wunsch, ihre eigenen Bräuche praktizieren zu können: eigene Waschung, Bestattung ohne Sarg, spezielle Grabstätten u.ä.. Dies stand bisher in direktem Widerspruch zu den deutschen Vorschriften. Aber immer mehr Friedhofsverwaltungen zeigen sich jedoch hier flexibler als früher.

     Ein Blick in die Nachbarländer zeigt, wie vielfältig der Umgang mit dem Tod sein kann – und wie rückständig Deutschland auf diesem Gebiet bisher gewesen ist. In den Niederlanden, wo die Privatisierung weit vorangeschritten ist, haben die Krematorien schon seit langem ein wesentlich breiteres Angebot als hierzulande. Die Angehörigen können den Einäscherungen direkt beiwohnen, ja den technischen Verbrennungsvorgang selbst einleiten, wenn gewünscht. Für Aschenurnen besteht kein Friedhofszwang, d.h. die Asche kann nach der Trauerfeier mit nach Hause genommen oder irgendwo verstreut werden. Vielfältige Grabbeigaben sind erlaubt, auch bei der Verbrennung. Nachtbestattungen sind ebenso im Angebot wie Lasershows bei der Trauerfeier. Niederländische Friedhöfe bieten auch an, Videos zur Erinnerung an die eigene Trauerfeier aufzunehmen. Bereits 1991 wurde der Sargzwang aufgehoben, so daß zum Beispiel moslemische Einwanderer ihre eigenen Bestattungstraditionen pflegen können. Auch die niederländische Grabmalkultur ist vielfältiger als die deutsche, weil die Phantasie nicht von rigiden Reglements erstickt wird. Daneben haben Künstlergruppen wie “Memento” nach neuen sepulkralen Ausdrucksformen gesucht (z. B. Totenkleider). Diese Künstlergruppe meint, daß Verlusterfahrung und Trauerarbeit einen authentischen Ausdruck finden sollte – frei von der Routine des konventionellen Begräbniszeremoniells.

     Sicherlich bleibt es schwierig, künstlerische Kreativität in die Bestattungskultur der breiten Bevölkerung einzubinden – Hemmschwellen müssen überwunden, Kompromisse eingegangen werden. Aber es wäre nicht das erste Mal, daß eine “Avantgarde” grundlegende Veränderungen einläutet ... sofern die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen es zulassen. In den Niederlanden jedenfalls, so urteilt Gerold Eppler vom Institut für Sepulkralkultur, haben gesellschaftliche Toleranz und eine aus demokratischem Selbstverständnis resultierende Handlungsfreiheit die Vielfalt der Bestattungskultur begünstigt.

     Auch in Großbritannien herrscht Aufbruchsstimmung. Um nur ein Beispiel zu nennen: Seit einigen Jahren entstehen immer mehr der sogenannten Naturfriedhöfe. Auf diesen “grünen” Begräbnisplätzen, die nicht mit den in Deutschland bekannten Waldfriedhöfen zu verwechseln sind, kommt ein Baum statt eines Grabsteins auf jede Ruhestätte - kein Friedhofsmonopol behindert hier, wie in Deutschland, solche Aktivitäten. Und auch in Großbritannien kann die Asche überall dort verwahrt oder verstreut werden, wo es die Verstorbenen bzw. Hinterbliebenen wünschen.

     Immerhin: Auch die deutsche Friedhofskultur gerät in Bewegung. Dies zeigen die jüngst ausgearbeiteten Empfehlungen der Kasseler Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, die für mehr Freiraum in der Friedhofs- und Grabstättengestaltung plädieren. Wörtlich ist in diesen Empfehlungen von “größtmöglichen Spielräumen” die Rede und von der Nutzung des Friedhofs als “Kultur- und Erlebnisraum”. Und auch die Vorträge auf der bevorstehenden Tagung der Friedhofsverwalter Deutschlands werden sich mit notwendigen Neuerungen beschäftigen, wie der Aufgabe der sogenannten Zwei- Felder-Wirtschaft. Man ist also stärker als früher darum bemüht, die bisher strengen Bestimmungen zu lockern, um mehr Individualität in Bestattungsfragen zu ermöglichen. Wie eine repräsentative Allensbach-Umfrage von 1998 belegt, wünschen immerhin 21% aller Deutschen die Möglichkeit, die Asche aufs eigene Grundstück mitnehmen zu können. Und sogar ein Viertel aller Deutschen spricht sich ausdrücklich für eine allgemeine Liberalisierung der Bestattungsvorschriften aus.

     So werden wohl künftig die Forderungen immer lauter werden, die Asche im eigenen Garten oder an einem selbstgewählten Platz irgendwo in der Landschaft verstreuen zu dürfen – hygienische Bedenken gäbe es jedenfalls nicht und in anderen Ländern ist es ja ebenfalls möglich. Anderswo sind bereits neue Orte der Trauer entstanden, jenseits von Feierhallen und Friedhöfen. Dazu gehören etwa die Gedächt- nisorte des Berliner Künstlers Tom Fecht. Er initiierte Anfang der neunziger Jahre ein Projekt unter dem Titel “Namen und Steine”. Dabei werden die Namen von AIDS-Toten in einzelne, vorgefertigte Steine eingraviert. Anschließend werden diese Steine in das Pflaster städtischer Plätze eingefügt - neue Orte der Erinnerung für all jene, deren toter Freund vielleicht auf dem Friedhof einer ganz anderen, weit entfernten Stadt als Sozialfall begraben werden mußte.

     Aber wir müssen wohl noch einen Schritt weiter gehen. Ich frage mich, ob es nicht in Kürze zu noch viel gravierenderen Umbrüchen in der Bestattungs- und Trauerkultur kommen wird. Damit bin ich beim letzten Teil meines Vortrags, der sich mit künftigen

 Dr.  Norbert  Fischer
          
Foto: Bernd Bruns, postmortal.de

Veränderungen befaßt. Der gesellschaftliche Wandel, wie er sich zum Ende des 20. Jahrhunderts abzeichnet, ist eng verflochten mit technologischen Veränderungen. Zu denken ist in erster Linie an die Möglichkeiten der Computer- und Informationstechnologie und im besonderen des Internets. Sie werden für die Bestattungskultur Folgen haben, wie sie heute noch gar nicht abzusehen sind – gerade weil sie in so hohem Maß den Forderungen des allgemeinen gesellschaftlichen Wandels entsprechen. Ein wichtiges Beispiel sind die Internet-Gedenkstätten. Im Prinzip ist diese neue Form von Trauer- und Erinnerungskultur bereits seit mehreren Jahren bekannt – bei den Internet-Gedenkstätten handelt es sich um multimedial gestaltete Bildschirm- Seiten, die jederzeit über Computer, Modem und Mausklick abrufbar sind. Allerdings hatten sie bislang häufig den Charme des Provisorischen. Im vergangenen Jahr wurde nun mit der “Hall of Memory” eine kommerzielle Internet-Gedenkstätte eröffnet, die ausgesprochen professionell angelegt ist (und ja auch auf dieser Messe noch gesondert vorgestellt werden soll).

     Für all jene, die den Vortrag über die Hall of Memory nicht werden verfolgen können, hier einige Stichwörter. Interessierte Zeitgenossen haben unterschiedliche Möglichkeiten, ihren Eintrag multimedial zu entwerfen: als Memorial-Gedenkstätte, als Nachruf mit Bildern und Sprache, als Kurzbiographie mit Film oder als individuell- künstlerisch gestaltete Büste. Man kann ein Relief des oder der Verstorbenen zeichnen und das Lieblingsgemälde oder die Lieblingsmusik einspielen lassen. Umgekehrt kann jeder Besucher, wie im Internet üblich, interaktiv handeln und per e-mail Kondolenzkarten versenden, virtuelle Blumengebinde oder Totenlichter “hinterlegen”. Beeindruckend ist die Zahl der Internet-Nutzer, die diese neuen Stätten von Tod und Trauer besuchen: angeblich 60 000 allein im Monat Januar 1999. Es scheint, als hätte die Hall of Memory gute Chancen, dieser neuen Form des Totengedenkens zu einem Bekanntheitsgrad zu verhelfen, der über den engeren Kreis der Internetfreaks hinausgeht.

     Ergänzt sei noch ein anderer Aspekt des Internet: Über alle Veränderungen im privaten Totengedenken hinaus öffnen solche und ähnliche Dienste auch den Weg für neue Vermarktungswege. So sind in der erwähnten “Hall of Memory” die Anschriften verschiedener Unternehmen abrufbar, die ihre fachspezifischen Dienste anbieten: von Bestattern bis zu Trauerseminaren. Gleiches gilt in etwa auch für den vor wenigen Monaten gegründeten Internet-Service “Tod und Trauer”. Da das Internet von überall her zugänglich ist, wird der Bestattungsmarkt durch solche Info-Dienste transparenter.

     Aber kehren wir noch einmal zum virtuellen Totengedenken zurück, zu den Internet- Gedenkstätten. Diese neuen Gedenkstätten sind ein wichtiger Beleg dafür, daß Trauer und Erinnerung immer weniger mit einem konkreten, festen Ort verbunden werden. Die Orte, an denen wir leben, wechseln immer häufiger, vor allem sind Geburtsort und Wohnort immer häufiger voneinander getrennt. Damit aber werden zum Beispiel Grabbesuch und Grabpflege umso schwieriger, je weiter entfernt das Grab vom Wohnort der Hinterbliebenen ist. Die zunehmende Mobiliät, die wachsende Aufsplitterung der gesellschaftlichen Lebenszusammenhänge ist also für die künftige Bestattungskultur von entscheidender Bedeutung.

      Auf der anderen Seite ist das jederzeit zugängliche Internet für all jene, deren Lebenswelt nicht an einen konkreten Ort gebunden ist, eine viel näherliegende Stätte der Trauer als Friedhof und Grabstätte in einer ganz bestimmten Stadt. Sie ist im Prinzip weltweit überall zugänglich, wenn man über PC und Modem verfügt. Diese virtuellen Gedenkstätten entsprechen den neuen, mobilen Lebenswelten. Kaum verwunderlich, daß die Betreiber der erwähnten “Hall of Memory” mit ihrem Projekt künftig auf jene Generationen hoffen, die mit dem Computer aufgewachsen sind und für die der Umgang mit dem Internet etwas Selbstverständliches ist. Da wirkt es schon fast wie aus einer  anderen, vergangenen Welt, wenn die katholische Deutsche Bischofskonferenz in ihrer  aktuellen Schrift zur Bestattungskultur das traditionelle Grabmal als einzig legitimes Erinnerungszeichen  verteidigt.

     Gleichgültig, wie man zu den einzelnen Positionen steht: Man wird sich auch in Deutschland mit dem Gedanken anfreunden müssen, daß der konventionelle Friedhof und die konventionelle Grabstätte, wie sie uns seit Jahrhunderten vertraut sind, künftig ihre bisherige Bedeutung für Bestattung und Trauer verlieren werden. Denkbar wäre ja für die Zukunft ein Szenario, bei dem die kostengünstige anonyme Beisetzung auf einem städtischen Friedhof gekoppelt wird mit einer aufwendig gestalteten Gedenkstätte im Internet. 

     Ich komme zum Schluß. Wenn man jene gesellschaftlichen Entwicklungen, die die Bestattungskultur künftig beeinflussen werden, in bestimmte Begriffe fassen will, so wird man von Auflösung der festen Orte, Individualisierung und Flexibilisierung sprechen müssen. Der “flexible Mensch”, wie ihn der Soziologe Richard Sennett nennt, entledigt sich zunehmend der gewohnten sozialen Bindungen. Die Bindungen an langgewohnte, häufig in Routine erstarrte Rituale und an einen einzigen Ort von Trauer und Erinnerung werden künftig schwächer werden. Die wachsende gesellschaftliche Mobilität wird nicht nur den lebenslang festen Wohnsitz zum Relikt einer vergangenen Zeit machen, sondern auch die auf 15, 20 oder 25 Jahre Ruhezeit festgelegte Grabstätte. Im Gegensatz zu früher sind 15 oder 25 Jahre fast eine Ewigkeit, wenn man aus beruflichen Gründen alle paar Jahre den Wohnort wechseln muß und die Bindungen zwischen den Generationen immer lockerer werden.

     Sicher: Bisher gilt das Gesagte nur für einen relativ kleinen Kreis der Gesellschaft. Es sind einzelne Gruppen, einzelne Persönlichkeiten, die neue Wege einschlagen und dabei das “knochentrockene Gerüst heutigen Totenbrauchtums”  beleben” (um noch einmal Wolfgang Neumann vom Institut für Sepulkralkultur zu zitieren). Die Breitenwirkung wird vermutlich noch einige Zeit auf sich warten lassen. Aber es geht hier ja darum, künftige Trends aufzuzeigen. Und daß bei einer qualifizierten Minderheit der Deutschen ein generelles Bedürfnis nach Veränderung besteht, hat die oben erwähnte Allensbach-Umfrage gezeigt.

     So führt meines Erachtens in der Bestattungskultur kein Weg an einer grundlegenden Öffnung vorbei – und das gerade in einem Bereich, der über Jahrzehnte hinweg festgefügt zu sein schien wie kaum ein anderer. Es wird eine Flexibilisierung sein, die das bisherige Spektrum der Bestattungskultur radikal erweitern wird und dabei völlig neue Orte der Trauer und Erinnerung schaffen kann. So sollten wir die fortschreitende Auflösung all jener gesellschaftlicher Strukturen, die uns bisher vertraut waren, als Chance verstehen, auch der Bestattungskultur ein neues, farbigeres Antlitz zu verleihen.

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