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taz Berlin lokal Nr. 6094 vom 16.3.2000
 

  
über den Umgang mit dem Tod im  neuen
High-Tech-
Krematorium
Berlin Treptow
  


Die Hades-Maschine

Während in der deutschen Bestattungsbranche ein harter Konkurrenzkampf ausgebrochen ist, hat in Treptow ein High-Tech-Krematorium den Betrieb aufgenommen: Rund um die Uhr werden Särge angeliefert, über einen Nummerncode eingecheckt und von einem Roboter in den Kühlraum gebracht.

von JOCHEN SCHMIDT

"Alkoholiker brennen gar nicht schneller", sagt Frau Wachholz, die Chefin des Krematoriums an der Kiefholzstraße in Treptow: "Ganz im Gegenteil. Genau wie Anästhesierte, wegen der Medikamente im Gewebe." Grausige Einzelheiten, die hier die Praxis bestimmen. Pannen betreffen schließlich die Körper Verstorbener. Deshalb muss man wissen, wie lange ein Brennvorgang dauert, und man muss über die Immissionen Buch führen; dazu verpflichtet einen die Imissionsschutzverordnung, deren Anforderungen das alte Krematorium nicht mehr erfüllt hat. Ein anderes Vorurteil, der Körper würde sich in der Ofenhitze aufrichten, wird auch gleich entkräftet. Dafür erfährt man, dass das Kopfende des Sargs immer zuerst in den Ofen kommt. Man kommt allerdings nicht dazu, zu fragen, warum, Frau Wachholz ist nicht zu bremsen. "Sehen Sie, jetzt wird das Medium angelupft."

Frau Wachholz hat schon eine Vormittagsführung durch das neue Krematorium hinter sich, und jetzt sind Kollegen da. Eine Gruppe Friedhofsverwalter beäugt kritisch den beeindruckenden Bau. Friedhofsverwalter sind fröhliche Menschen, stellt sich heraus. "Wo ist denn meine Tasche?", fragt einer. "Die ist jetzt ein VIP-Vorgang", scherzen die anderen. Das ist die interne Bezeichnung für besondere Einäscherungen, wenn alles schnell gehen muss, wegen Seuchengefahr zum Beispiel.

Zum Glück führt einen diese energische und engagierte Frau durch die Anlage. So macht man sich die Präsenz des Todes nicht richtig klar. Man fragt sich lediglich besorgt, wie sie es wohl schafft, abends abzuschalten, so tief scheint sie in der Materie zu stecken. "Eigentlich habe ich ja Gartenbau studiert", sagt sie. Aber mit ihrem Fachvokabular aus Verwaltung, Bauausführung und Bestattungswesen redet sie einen ganz schwindlig.

In der Branche geht es momentan heiß her. Gerade über die Arbeitsweise der Bestattungsunternehmen gibt es viele Gerüchte. Der Zweite Weltkrieg hat zu viele Opfer gefordert, deshalb gehen den Unternehmen jetzt die Toten aus. Es geht die Rede von Monopolbildung und Bestechung, und das klingt dann wirklich gruselig. Von "Leichentourismus" ist die Rede, in Meißen muss man nur 320 statt 520 Mark zahlen. Filialen würden von den Branchenriesen gedrängt, ihren Kunden Paketlösungen aufzunötigen. Es ist auch ein offenes Geheimnis, dass Kühlzüge nicht nur nach Meißen, sondern bis nach Tschechien fahren, wo zu Dumpingpreisen eingeäschert wird: "Und dass ohne Deckel mehr reinpassen, kann man sich ja denken, oder?" Davon stehe natürlich nichts in der Zeitschrift Bestattungswesen.

Man wundert sich also nicht über das Misstrauen, das dem Herrn von der Presse entgegenschlägt. Frau Wachholz fühlt sich persönlich angegriffen durch unsachliche Schlagzeilen wie "Der Tod hat Öffnungszeiten". Man solle doch die Möglichkeiten sehen, die das neue Haus biete. Die Architektur will sie niemandem schönreden, das sei Kunst und entziehe sich ihrer Beurteilung, aber den Ort wolle sie mal sehen, wo man so individuelle Trauerfeiern gestalten könne wie hier.

Hier sei schon AC/DC gespielt worden, bei einer Rockertrauerfeier, es habe nur noch gefehlt, "dass die mit ihren Motorrädern um die Säulen kurven". Ein vom Bestatter gestellter Pianist hätte früher eben nicht so einfach "Biene Maja" spielen können, wenn ein Kind beigesetzt wurde. Ganz abgesehen von der vereinfachten Verwaltung. Sogar Richtfunk sei auf dem Dach installiert, so dass man sich mit den Standesämtern kurzschließen könnte, wenn die auch schon so weit wären.

Probleme bereite allerdings der Architekturtourismus. Am liebsten würde Frau Wachholz für ihr Krematorium Museumsstatus beantragen, denn schon jetzt sei der Besucherstrom kaum mehr zu verkraften. Führungen müssen mittlerweile beim Bezirksamt Treptow schriftlich beantragt werden, aber zu den Öffnungszeiten kann sich das Gebäude jeder ansehen.

Der Architekt Axel Schultes, von dem auch das Bundeskanzleramt stammt, "in das man sicher nicht so einfach reinkommen wird", hat das Krematorium in Treptow als Orpheum gedacht: ein Grabmal für einen an anderer Stelle Bestatteten.

In der Kondolenzhalle rollen schwere Metalltüren auf wie bei einer Geheimvorrichtung in einer ägyptischen Pyramide. Innen umgibt einen nackter Beton, die sichtbar gelassenen Fugen vermitteln den Eindruck von riesigen Gesteinsblöcken. 29 schlanke Betonsäulen sind im Raum verteilt. Ihre Besonderheit sind die Lichtkapitelle, sie stützen die Decke nur über schmale Kragarme, darüber sieht man den Himmel. Licht kommt auch durch die Glasfassaden, die die Vorder- und Rückseite auflockern, so dass man durch das Gebäude hindurchsehen kann. 13 symbolische Türen an den Wänden mit Sandverwehungen am Boden sollen ein bisschen Ewigkeit aufkommen lassen. Mancher spottet allerdings, es müssten wohl Hundeklos sein, wenn schon keine für Menschen zu finden seien.

In die Mitte der Halle ist eine ebenerdige grüne Marmorschale eingelassen, über deren spiegelglatter Wasserfläche ein Ei schwebt: Tod und Wiedergeburt soll das symbolisieren. Die Verbrennung ist schließlich ein heidnischer Brauch, der sich inzwischen, von der Kirche nur geduldet, wieder zu achtzig Prozent durchgesetzt hat. Der Grund dafür ist prosaisch: Eine Verbrennung ist billiger als ein Sargbegräbnis.

Jede Einzelheit bis hin zu den Aschenbechern hat Schultes selbst entworfen. Auch die acht Sekunden Nachhall sind gewollt, damit man sich hören, aber nur aus der Nähe verstehen kann. "Die Kälte der Architektur vergrößert den Schmerz", behaupten dagegen die Bestatter. Aber das Weihevolle des Ortes ist sicher angebracht. Es geht schließlich um den Tod. Die Hinterbliebenen aber wollen nicht zu erhabenen Gefühlen angeregt werden, sondern die Sache eine Nummer irdischer über die Bühne bringen.

Die Friedhofsverwalter drucksen ein wenig herum. Auf ihren Friedhöfen müssen sie kostendeckend arbeiten, ein Haus für 60 Millionen ist da ein Traum, von dem man seinen Mitarbeitern gar nichts erzählen darf: "Sonst wollen die auch gleich so was." Frau Wachholz ärgert das Gerede über die Geldverschwendung am angeblichen Prunkbau. Wo steckt denn das Geld? Doch nicht nur in der imposanten Trauerhalle, sondern eben auch im Unterbau. Drei Softwareunternehmen haben die Ofentechnik, die Lagertechnik und die Verwaltung projektiert. Ein Kühllager für 652 Särge, davon 24 Sonderkühlzellen für die Gerichtsmedizin, befindet sich unter der Erde. Rund um die Uhr werden Särge angeliefert, per Nummerncode eingecheckt, von einem "FTA" (fahrerloses Transportfahrzeug) abgeholt und selbsttätig an der günstigsten Stelle in den Kühlräumen gelagert. Wird ein Sarg an einem der drei Öfen - auf sechs Öfen kann aufgerüstet werden - zum Einäschern angefordert, kümmern sich wieder die FTAs um die Auswahl.

Eigentlich könnte dieser Vorgang 12.000-mal jährlich im Dreischichtsystem stattfinden, aber noch ist das Krematorium nicht ausgelastet, was an den Bestattern liegen soll, denen zu viele Vorschriften gemacht würden. Die hätten es eben gern, hier und da Zusatzkosten anfallen zu lassen, anstatt den Service des Hauses zu nutzen. Das gehe bis zu den Blumen, die hier gestellt würden.

Auch heute gebe es einen Bestatter in der Besuchergruppe der Friedhofsverwalter, wird dem Mann von der Presse zugeraunt. Eine Dame, die sich dann selbst outet, weil sie ein Wort für die korrekt arbeitenden unter ihren Kollegen einlegen möchte. "Das habe ich mir schon gedacht, dass einer dabei ist", sagt Frau Wachholz, "da gingen immer so vielsagende Blicke rum."

Eine moderne Gesellschaft muss sich ihrer Körper effektiv und umweltschonend entledigen: Ein Krematorium braucht einen Schornstein. Und dem Rauch haftet etwas von der Substanz an - das macht den Anblick so makaber. In Treptow gibt es nur gefiltere Immissionen. Dioxine werden über Additive gebunden und unter Tage entsorgt. "In der LPG werden wieder Kuhknochen verbrannt", hieß es früher immer, und dann atmete man einen Tag lang durch den Mund.

Die Religionslosigkeit hat zu einem beunruhigenden Wirrwarr von spirituellen Ersatzbefriedigungen geführt. Der Film "The Sixth Sense" hat weltweit 450 Millionen Dollar eingespielt, mit nichts als der beunruhigenden Botschaft, dass die Toten zurückkehren, solange ihnen nicht Gerechtigkeit widerfahren ist. Dass sich Heiner Müllers Glaubensbekenntnis so gewinnbringend vermarkten lassen würde, hätte ihn sicher gefreut: Man müsse in der Demokratie für die Toten eintreten, schließlich seien sie in der Mehrzahl. Auch meine Großmutter hatte eine nüchterne Haltung zum Tod: "Für einen guten Christen ist der Sarg ein Kleiderschrank", pflegte sie zu sagen. Wahre Frömmigkeit ist eben aufgeklärter als die Aufklärung. Das ist die sympathische Seite am Protestantismus. Vielleicht auch die sympathische Seite an meiner Großmutter.

Frau Wachholz ist immer noch ganz aufgebracht. Es geht jetzt um Politik, anscheinend haben die Bestatter auch hier eine starke Lobby. Aber man möchte gern noch ein paar dumme Fragen stellen. "So wird sichergestellt, dass das Kopfende zuerst in den Ofen kommt", hatte es geheißen. Haben wir hier einen Atavismus der Kremierkultur aufgespürt? Die tradierte Vorstellung von der Seele, die im Kopf wohnt und zuerst befreit werden muss? Oder ist es eine Sicherungsmaßnahme für Fälle von Katalepsie? Alles nur Handwerk, erläutert Frau Wachholz. Der Ofen ist hinten am heißesten, denn bei jedem Öffnen strömt kalte Luft hinein. Daher müsse der Kopf, der am längsten, nämlich rund 50 Minuten brenne, hinten liegen. Schade. Hätte gut geklungen.

Zitat:

Meine Großmutter hatte eine nüchterne Haltung zum Tod: "Für einen guten Christen ist der Sarg ein Kleiderschrank." Wahre Frömmigkeit ist eben aufgeklärter als die Aufklärung.

taz Berlin lokal Nr. 6094 vom 16.3.2000 Seite 22 Kultur 328 Zeilen
TAZ-Bericht JOCHEN SCHMIDT
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