Startseite | postmortal-Blog | Umfrage zum Friedhofszwang

Seitenaufrufe
seit Januar 2000

Der Tod in den Medien   

Aktuelle Ebene:

ZDF-Reihe 37 Grad:
Die Totenwäscherin

 
RHEINISCHE POST:
Neue Trauerkultur

 
DIE ZEIT: Sparen mit tödlichen Folgen
 
DS: Die letzte Reise
-exellente Reportage

 
die tageszeitung (taz):
Das Krematorium

 
Werra-Rundschau: Die
Asche unterm Apfelbaum

 
DIE WELT: Der Quincy
vom Niederrhein

 
Luzern heute: Bis die Asche in die Urne rieselt
 
stern: Bestattung eines Beins berechnet

Höhere Ebene:

Die Medien zum Friedhofszwang
 
Der Tod in den Medien

Oberste Ebene

postmortal.de
Portal-Seite

 
Seite 1 - Editorial
 
Infos & Termine
 
Der Tod in Düsseldorf
 
Der Tod in Köln
 
DIE REDAKTION
 
Der Tod in der Literatur
 
Der Tod in der Diskussion
 
Tod in Recht & Ordnung
 
Bestattung & Beisetzung
 
Tod  Kultur - Geschichte
 
Tod in den Religionen
 
Tod in Poesie & Lyrik
 
Tod im Medienspiegel
 
Kontakte - Gästebuch Foren - Voten
 
PDF- MP3-Dateien
 
Impressum
 
Medieninformationen
Rechercheservice

 
Urnengalerie
 
Links: Tod im Internet
 
Bestatter in Deutschland

Der Quincy vom Niederrhein

Rechtsmediziner im Kampf gegen das perfekte Verbrechen

Von HANS-WERNER LOOSE

© DIE WELT, 11.2.1998

Etwa 900 000 Sterbefälle pro Jahr verzeichnet die Statistik in Deutschland. Meist endet das Leben mit einem natürlichen Tod - bestehen daran jedoch Zweifel, wird genauer hingesehen.

Düsseldorf - Der Tote aus dem Rhein ist um die Fünfzig. Er liegt auf einem Rollwagen im sechs Grad kalten Kühlkeller. Ein Arzt hat auf dem Totenschein die Rubrik "ungeklärt" angekreuzt. Fahnder mit Skalpell und Mikroskop sollen herausfinden, wie der Mann mit der Registriernummer 8 auf dem rechten Bein gestorben ist. Professor Wolfgang Bonte (58), Chef des Instituts für Rechtsmedizin an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, läßt das Ergebnis offen: "Er könnte als Leiche ins Wasser geworfen worden sein, denn es gibt Läuse und Flöhe."

Nummer 8 ist einer von drei Toten, die an diesem Tag obduziert werden, damit die Polizei ihre Akten schließen kann oder einen Mörder suchen muß. "In 95 von 100 zunächst ungeklärten Fällen steckt nichts dahinter", weiß Bonte und setzt die Elektrosäge an, um zunächst den Schädel zu öffnen, "aber nicht immer können wir einen natürlichen Tod bescheinigen." Der C-4-Professor mit Lehrstuhl und seine 13 wissenschaftlichen Mitarbeiter, darunter acht Ärzte, entscheiden pro Jahr rund 1000mal, wann beerdigt werden darf. Jeder zweite Tote wird vor der Obduktion freigegeben.

Rechtsmediziner fügen Einzelbefunde zum Puzzle, um Geschehen zu rekonstruieren und das perfekte Verbrechen zu verhindern. Bonte: "Nicht immer steckt in einer Leiche eine Kugel, ein Messer oder eine Axt."

Die Wurzeln seines Metiers reichen weit in die Geschichte: Vor 3000 Jahren beschäftigten die Hebräer bei jedem Gericht einen Amtsarzt. 44 vor Christus untersuchte der römische Arzt Antistius den Körper des toten Julius Cäsar und fand 23 Stichwunden - nur ein Stich in die Brust war tödlich gewesen. 1248 erschien in China das Buch "Hsi Yüan Lu" als Leitfaden der gerichtlichen Medizin. Europa hinkte hinterher. 1507 verfügte der Bischof von Bamberg per Gesetz, bei Kindesmorden und Verdacht auf ärztliche Kunstfehler einen Mediziner zu befragen. 1521 erweiterte Kaiser Karl V. die Befugnisse: Ärzte durften für Gerichte die Wunden von Ermordeten erweitern, um Tiefe und Verlauf zu erkennen. Als Vater der Gerichtsmedizin in Deutschland gilt Roderich von Castro, der aus einer portugiesischen Familie stammte und in Hamburg lebte. Er gliederte 1614 die Gerichtsmedizin in vier Felder: Vergiftungen, Verletzungen, Feststellung der Jungfräulichkeit, Untersuchung gekaufter Sklaven. Als bahnbrechend gilt das "Praktische Handbuch der gerichtlichen Medizin", das der Berliner Arzt Johann Ludwig Casper 1856 veröffentlichte. Grundlage der Rechtsmedizin, schrieb er, seien die Obduktion, die mikroskopische und die chemische Untersuchung.

Obwohl die Rechtsmedizin als Zweig der Wissenschaft immer wichtiger wird, um aus den etwa 900 000 Toten eines Jahres in Deutschland die zweifelhaften Fälle zu filtern, hält Deutschland mit acht Prozent den internationalen Minusrekord bei Obduktionen; vor 25 Jahren war noch jeder vierte Tote ein Fall für die Rechtsmedizin. Wolfgang Bonte: "Im Bereich Düsseldorf ordnet die Staatsanwaltschaft jährlich 550 Obduktionen an, im etwa gleich großen Nachbarbezirk Köln nur 150." Auf Symposien beklagen die Spezialisten der 35 Institute, daß Jahr für Jahr zwischen Watt und Watzmann bis zu 18 000 nicht natürliche Todesfälle als natürliche deklariert werden - und mehr als 6000 ärztliche Kunstfehler nicht erkannt oder vermerkt.

Fehldiagnosen sind Legende. Die attestierte Lungen-Embolie einer 47 Jahre alten Frau aus Würzburg war tatsächlich ein Stromtod; "pockenartige, rote Anhaftungen im Brustbereich" eines 53jährigen Mannes aus Hannover waren Messerstiche; ein achtjähriger Junge, der drei Tage nach seinem Verschwinden tot aus einem Fluß geholt worden war, galt als ertrunken, war aber erdrosselt worden.

Wolfgang Bonte ist nichts fremd, was tödlich ist. Und auch menschliches Irren nicht: "Bei Bremen lagen Zeitungen und Milchflaschen zwei Tage vor der Tür einer alten Frau. Eine Enkelin fand die scheinbar leblose Oma. Der Hausarzt bescheinigte den Tod seiner Patientin; sie war zuckerkrank. Der Bestatter brachte die vermeintliche Tote in die Leichenhalle und legte sie in den Sarg. Plötzlich öffnete sie die Augen und zuckte mit einem Bein - fünf Stunden später ist sie dann tatsächlich gestorben." Aus diesem Fall leitet Bonte den Rat zur Feuerbestattung ab: "Nur vor dem Kremieren schaut ein Fachmann noch einmal nach, ob ein Toter wirklich tot ist."

Vor vier Jahren, erzählt der vollbärtige Mediziner, trugen seine Mitarbeiter zur Lösung eines ungewöhnlichen Falles bei, der folgendermaßen rekonstruiert wurde: "Der Chef einer Bande von Autoschiebern erschlug bei Duisburg einen Ganoven mit einem Stemmeisen. Zwei Tage später wurde der Tote in ein Faß gesteckt, mit Beton zugeschüttet und in einem Fluß versenkt - eigentlich eine sichere Form der Beseitigung. Doch ein Mitglied der Bande gab der Polizei einen Tip. Froschmänner hoben die Tonne mit dem Toten. Und wir haben die Leiche herausgemeißelt und sogar die Tatwaffe gefunden, den sogenannten Kuhfuß."

Belege der ungewöhnlichsten Fälle seit 1953 liegen im größten Museum für Rechtsmedizin. Die Lehrsammlung im Parterre enthält gut 1000 Einzelstücke. Ein Präparator hat die meisten Beweisstücke in einem Gel konserviert, das in den siebziger Jahren am Rechtsmedizinischen Institut in Göttingen entwickelt worden ist. Bonte lobt: "Es erhält die Farben und funktioniert auch bei Obst - ein angeschnittener Apfel wirkt frisch."

Besucher erinnert die Sammlung an ein Gruselkabinett. Neben dem Eingang steht ein Skelett. In Regalen liegen Schädel, von Kugeln durchlöchert, mit Hämmern oder Stuhlbeinen zertrümmert, von Beilen gespalten. Konservierte Kehlköpfe belegen, was Menschen verschlucken: Schlüssel, Münzen, Nadeln, Nägel, Gebisse. Bonte erläutert ein Exponat, das "Killergurke" heißt: "Der Brocken blieb im Kehlkopf stecken und löste einen reflektorischen Herzstillstand aus." Unter sieben Farbfotos einer Frauenleiche steht ein Kühlschrank. "Hier drinnen wurde diese Tote aufbewahrt", erläutert Bonte. Verkohlte Gliedmaßen zeugen vom Stromtod. Stricke, Ketten und Nylonstrümpfe zeigen die Tatwerkzeuge von Selbstmördern, Luftpumpen und Zangen unter luftdichten Behältern mit Föten und Embryos die Requisiten bei Abtreibungen. Nach den ersten seiner rund 5000 Obduktionen seit 1968 - die jeweils zwischen zwei und acht Stunden dauern - hat Wolfgang Bonte "jahrelang keine Innereien gegessen". Das habe sich inzwischen zwar gegeben, aber: "Ein Baby auf dem Obduktionstisch, das geht mir auch heute noch immer unter die Haut."

Von 1990 bis 1993 war der Düsseldorfer Professor Präsident des Weltverbands der Rechtsmediziner. In seinem letzten Amtsjahr organisierte er eine Kollegentagung in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt - mit einem Theaterstück, bei dem auch die Kripo mitspielte: Es gab einen vorgeblichen Toten; die Mordkommission kam, und nach der Erkennungsmelodie der Fernsehserie um den Gerichtsmediziner, der in Los Angeles vertrackte Fälle im 90-Minuten-Takt löst, stand Quincy-Darsteller Jack Klugman auf der Bühne. "Anschließend sah Quincy seine erste echte Leiche", erzählt Bonte. "Er hat das ganz gut weggesteckt." Studenten und Kollegen nennen Bonte übrigens den Quincy vom Niederrhein.

Der Rechtsmediziner hat eine Planstelle in seinem Institut mit einem promovierten Archäologen besetzt, weil beide Disziplinen "in Grenzbereichen verwandt" sind. So könnten Skelette, die beim Straßenbau ausgegraben würden, auf einen Mord deuten oder aber historische Funde sein. Bonte berichtet von einem Fall am Niederrhein: Ein Bagger legte Knochen und ein vermeintliches Bajonett frei - "es waren nicht Reste eines Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, sondern eines Merowingers aus der Zeit um 700 nach Christus und ein Kurzschwert".

DIE WELT online


 Hinweis der Redaktion postmortal.de:
 Am 23. Oktober 2000 ist der bekannte wie engagierte Düsseldorfer Rechtsmediziner Prof. 
 Wolfgang Bonte (61) an Krebs verstorben. Der Niederrhein hat seinen “Quincy”  verloren...

  In memoriam Universittsprofessor Dr. med. Wolfgang Bonte

Der weltweit renommierte Düsseldorfer Gerichtsmediziner und Gutachter Prof. Wolfgang Bonte ist 61-jährig an einem Krebsleiden gestorben. Unkonventionelles Auftreten, interdisziplinäres Vorgehen und eine vorurteilsfreie Begutachtung machte ihn bekannt. Er untersuchte auch das vermeintliche RAF Mitglied Wolfgang Grams, der 1993 im Bahnhof von Bad Kleinen bei einem Einsatz der GSG 9 umkam. Nicht nur in seinem Gutachten, sondern immer wieder öffentlich nannte er den Tod von Grams Mord; ausgeführt von den Beamten der speziellen Eingreiftruppe des Staates.
Quelle: http://www.terz.org/texte/texte_11_00/lausi.html
Weitere Informationen:
http://www.nadir.org/nadir/archiv/Repression/bad_kleinen/25zusammfassung.html

Weitere Realitäten der Rechtsmedizin


Link zur Umfrage

  Beteiligen Sie sich bitte auch an der postmortal Umfrage
zum Friedhofszwang für Totenaschen in Deutschland

Link zur Umfrage

Top of page