Der Tod in Brual-Siedlung:
Totengräber zum Nulltarif In der dörflichen Gemeinschaft werden die letzten Dinge des Lebens noch traditionell mit nachbarschaftlicher Hilfe geregelt. Von Bernd Bruns, postmortal.deBrual-Siedlung, Juli 2002
- Die kleine Dorfgemeinde bei Rhede (Ems), nahe der niederländische Grenze, ist allein geprägt von der Landwirtschaft. Die Chronik der Siedlung ist kurz: Von 1951 bis 1961 erhielten hier auf einem ehemaligen Torfabbaugebiet 44 in den Kriegswirren aus dem Osten vertriebene oder geflüchtete Familien eine neue Heimat. Die Moorflächen mußten erst noch mühsam für die landwirtschaftliche Nutzung kultiviert werden. Noch heute ist die Infrastruktur der kleinen Siedlung höchst bescheiden. Die 1958 eingeweihte Volksschule wurde bereits 1979 wieder geschlossen. Auch die einzige Tankstelle am Ort ist seit Jahren dicht. Nur der Gasthof “Zum deutschen Eck” ist geblieben.
Inmitten des Dorfes steht die 1966 eingeweihte katholische St.-Hedwig-Kirche, die längst keinen eigenen Pastor mehr hat und von einem Seelsorger der Nachbargemeinde mit betreut wird: Priestermangel. Dem potentiellen Nachwuchs fürs katholische Kirchenamt ermangelt es zunehmend an der Bereitschaft zum zölibatären Leben.Die eigene Kirche im Dorf hat für die Siedler einen hohen Stellenwert.
Zur Finanzierung hatten sie 1956 einen Kirchbauverein gegründet. Die eingesammelten Spenden fielen bei den Gläubigen großzügig aus. Inzwischen gilt Brual-Siedlung amtskirchlich nur noch als “Kapellengemeinde”. Zur Infrastruktur zählt letztlich auch der kleine und gepflegte Friedhof neben der Kirche mit etwa vierzig großen Familiengrabstätten. Mit viel Engagement und Eigenleistung wurde die letzte Ruhestätte der verstorbenen Siedler schließlich in den siebziger Jahren mit großem
Aufwand realisiert. Da sich trockengelegte Moorböden mit ihrem immer noch hohen Grundwasserspiegel nicht zur Bestattung eignen ( Gefahr der Wachsleichenbildung), mußte die gesamte Friedhofsfläche auf einer ehemaligen Weide soweit mit Erdboden
aufgeschüttet werden, daß die Särge bei der Bestattung bis auf das ehemalige Niveau des trockenen Wiesengeländes abgesenkt werden können.Nicht ohne Stolz der Siedler konnte 1976 auch eine eigene kleine Leichenhalle eingeweiht werden. Die
inzwischen groß gewachsenen Bäume auf dem heute malerisch anmutenden gepflegten Friedhofsgelände wurden - wie sich noch viele Bewohner erinnern - unter Anleitung des damaligen Dorflehrers im Rahmen des Schulunterrichts gepflanzt. So konnten auch die Kinder in die Gestaltung des gesegneten Geländes einbezogen werden.Der Umgang mit Tod und Sterben ist in der ländlichen Gemeinde noch weit natürlicher und unbefangener als in den Städten. Das Thema wird nicht verdrängt in einem
Dorf, dessen Bewohner noch in gemeinsamer christlicher Tradition tief verankert sind. Die Vision von der einstigen Auferstehung, die von der hier noch einflußreichen Kirche immer wieder gepredigt wird, mag Trost in der Trauer sein und die Ängste vor dem Ableben reduzieren. Da wird den aufgeklärten Bürgern in den säkularisierten “sündigen” Städten mit ihren immer leerer werdenden Kirchen weit weniger Perspektive geboten. Die kleine Siedlergemeinde hat selbstverständlich auch keine eigene Friedhofsverwaltung. Fest angestellte Totengräber mit speziellen Friedhofsbaggern und anderem modernen Equipment sind in Brual-Siedlung auch entbehrlich. Hier werden die letzten Dinge noch in traditioneller nachbarschaftlicher Hilfe geregelt. Mit schlichten Schaufeln heben ehrenamtliche Totengräber aus der unmittelbaren
Nachbarschaft der Verstorbenen noch in Gemeinschaftsarbeit die Gräber aus; und nach der christlichen Beerdigung schippen sie die Erde auf den Sarg. So ist es seit jeher Sitte und wird es auch in absehbarer Zeit wohl bleiben. Da wird dann auch schon mal mit symphatischer Mentalität ganz unkonventionell und kreativ ein Sarg quer zum Fußende bereits Bestatteter eingebuddelt, wenn durch schwere Fügungen des Schicksals eine Familiengrabstätte unerwartet zu klein geratenen ist.
Ihre letzte Dienstleistung an den verstorbenen Dorfbewohnern verrichten die freiwilligen Helfer zum Nulltarif für Gottes Lohn. So brauchen die Angehörigen für die Erdbestattung in Brual-Siedlung auch keine horrende Rechnung an einen Friedhofsträger zu bezahlen, die in den teuren Metropolen den Hinterbliebenen, bei all ihrer Trauer, noch zusätzliche Tränen aus den Augen treibt. Der Bestatter der verstorbenen Siedler ist meist identisch mit dem
bekannten und bewährten Schreiner im Nachbarort. Die angebotenen Särge kommen heutzutage freilich aus industrieller Produktion. Eine Urnenbeisetzung, wie sie auf den Friedhöfen der Städte mit ihren für den normal Sterblichen fast unbezahlbaren Grabstätte immer mehr in Mode kommt, hat es auf dem Dorffriedhof noch nicht gegeben. Die früher von der katholischen Kirche mit Vehemenz als unchristlich abgelehnte
Feuerbestattung wäre dort auch heute noch allein für exotische Außenseiter außerhalb der Dorfgemeinschaft denkbar. Zur Bestattung der in ihrem Umfeld sehr beliebten und durch eine Krankheit viel zu früh verstorbenen Berta S. fand sich in diesen Tagen - im Juli 2002 - wieder die
ganze Dorfgemeinschaft auf dem Friedhof ein. Zusammen mit den teilweise von weither angereisten Verwandten und Bekannten versammelten sich etwa zweihundert Menschen zu ihrer Beerdigung. Während vom Turm der St.-Hedwig-Kirche monoton die Totenglocke ertönte, traf der Geistliche mit seinem Gefolge auf dem geheiligten Gelände ein. Eine Meßdienerin trug das Kreuz voran.Es folgte die bekannte Beerdigung nach katholischem Ritus. Sollte die dabei verkündete Verheißung von der
Auferstehung der Toten tatsächlich zutreffen, braucht sich die zu Lebzeiten stets sozial engagierte Verstorbene um den ihr dann sicher zustehenden Platz im Paradies nicht zu sorgen. Doch das kann noch Ewigkeiten dauern; jedenfalls ist im Jenseits große Geduld gefordert. |  |  | Geschafft: Das Grab ist rechtzeitig vor dem Ende des Gottesdienstes gerichtet. Und
auch die pünktliche Teilnahme am anschließenden Treffen der Trauergäste in der Gaststätte des Nachbarortes ist gesichert. |
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| Schließlich setzte sich der Trauerzug in Bewegung um die Verstorbene zu ihrem ausgehobenen Grab zu geleiten. Nach dem letzten Abschied versammelte sich die Trauergemeinde zum Requiem in der kleinen
Dorfkirche. Dort wurde es arg eng. Trotz zusätzlicher in den Seitengängen aufgestellter Stühle mußten manche mit Stehplätzen vorlieb nehmen.Derweil kam im Hintergrund auf dem Friedhof Hektik auf: Die soeben noch im edlen Zwirn an der Beerdigung teilgenommenen Totengräber kehrten flugs in Arbeitskluft und mit Schaufeln per Fahrrad wieder auf dem Friedhof zurück. Bis zum Ende des Gottesdienstes, so der Ehrgeiz der Ehrenamtlichen, mußte das noch offene
Grab geschlossen und gerichtet sein. Der über dem Grab entstandene Erdhügel wurde - wie überall üblich - abschließend mit den vorhandenen Kränzen und Blumen kaschiert. Das war`s. Beim nächsten Todesfall in der Siedlung werden diese ehrenhafte Aufgabe wohl andere Männer übernehmen. Denn nach dem Brauch sind jeweils die nächsten Nachbarn des verstorbenen Menschen für seine Erdbestattung zuständig. Wie überall in der Republik klingt auch die Beerdigung in Brual Siedlung mit einem gemütlichen Treffen in einer Gaststätte aus. In einem Saal im Nachbarort, in dem sonst am Wochenende die Dorfjugend schwoft oder die freiwillige Ortsfeuerwehr ihre Feste feiert, fand sich die Trauergemeinde nach dem Gottesdienst wieder zusammen. Selbst der Dorfdoktor war mit Gattin
gekommen. Auf den Tischen standen Kaffee, Kuchen und Schnittchen bereit. Und auch Schnäpschen unterschiedlicher Geschmacksrichtungen wurden gereicht.Plötzlich standen alle Gäste auf. Gemeinsam wurde dann das “Vater unser” gebetet; und anschließend ein “ Gegrüssest seist du Maria”: “...
Heilige Maria Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes”. Amen. |