Kurz vor der Trauerfeier wünschten die Angehörigen noch einen Abschiedsblick in den offenen Sarg. Aber er war leer, und ohne diesen Wunsch, wäre er vermutlich auch leer in die Erde gesenkt worden. Der Abscheu über diese Verbrechen mischt
sich mit dem Abscheu über ihre mediale Verbreitung, wo sie sensationslüstern, voyeuristisch, spekulativ und ohne Rücksicht auf die Trauernden ihrem Tagesgeschäft nach geht.
Ob und welche Abründe sich hier auftun, soll an dieser Stelle nicht thematisiert werden. Allerdings legt besonders das Verbrechen von Buttenheim schlaglichtartig zwei gesellschaftliche Nervenenden bloß.
Die erste Frage betrifft all´ jene, die auf einen persönlichen Abschied, einen letzten Blick und eine letzte
Berührung verzichten. Nicht wenige von ihnen kämpfen dann angesichts des geschlossenen Sargen nicht nur mit den Tränen. Das Nicht-Wahrhaben-Wollen des Todes vermischt sich mit Vorstellungen, ob wirklich der- oder diejenige im Sarg liegt, um den oder die getrauert wird. Ob Sargbeigaben (z.B. Kleidung, Schmuck, Briefe oder Bilder) wirklich hinein gelegt wurden? Nicht zuletzt und am wichtigsten: Wie sieht er gerade jetzt aus, jener Mensch, der uns vielleicht ein Leben lang begleitet hat?
Noch
gravierender wird dies bei einer Verbrennung. In deutschen Krematorien ist es - im Gegenteil etwa zu niederländischen - nicht gestattet, den letzten Weg lückenlos zu begleiten. Aber erst diese ungebrochene Möglichkeit hilft, den Tod so realistisch zu sehen, wie er ist.
Was geschieht mit Leichen in diesen Tagen zwischen Todeseintritt und Bestattung?
Dies betrifft besonders jene, die der Totenfürsorgepflicht
unterliegen, die für eine Bestattung Sorge tragen müssen. Aber auch alle, die Abschied von einem geliebten Menschen nehmen müssen. Totenfürsorgepflicht bedeutet, für die Durchführung einer Bestattung Sorge tragen zu müssen. Auch wenn ein Leichnam einem Bestatter vertraglich überlassen wird, bleibt das Recht, alle Schritte und Handgriffe bis zum Schluß in Augenschein nehmen zu können.
Es besteht die Möglichkeit einer Hausaufbahrung sowie einer persönlichen Versorgung des toten
Körpers und seiner Einsargung. Auch nach der Überführung in ein Bestattungshaus oder eine Leichenhalle können Angehörige das erneute Öffnen des Sarges verlangen. Bis zu einer halben Stunde vor der Trauerfeier kann dies nicht verwehrt werden. Die Feier selbst muß dann laut deutschem Gesetz bei geschlossenem Sarg stattfinden.
Leider verzichten vielen auf einen letzten Blick und eine letzte Berührung. Nicht wenig irrationale Phantasien und das Nicht-Wahrhaben-Wollen des Todes sind der
Preis. Die Bedeutung des persönlichen Abschieds für die Trauerarbeit verbindet die Weltkulturen. In der deutschen Bestattungskultur wurde dies weitgehend durch Anonymität ersetzt. Und viele Trauernde verlängern ihr Leiden durch dieses nichtbegreifen des Todes.
Die zweite Frage, die das Verbrechen von Buttenheim aufwirft, bezieht sich auf das Gefühl zum eigenen Tod. Eine verbreitete Meinung lautet: "Es ist mir egal, was mit meiner Leiche passieren wird. Wenn ich tot bin, kriege ich
sowieso nichts mehr mit." Diese im Grunde genommen körperfeindliche Haltung trügt. Sie blendet aus, dass todgehen ein Prozess ist. Dass wir bis zur Bestattung eine körperliche Präsenz auf dieser Erde haben, die in allen, die uns nahestehen, wesentliche Fragen der Vergänglichkeit aufwirft. Natürlich können wir den Umgang mit der Leiche anderen übertragen, ihn aus der Hand geben.
Aber das kostet oft mehr als es wert ist, und der psychische Preis läßt sich kaum kalkulieren.
Wenn ein
geliebter Mensch spurlos verschwindet, löst das größte Sorgen bis hin zur Verzweiflung aus. Wenn wie in Buttenheim der Leichnam aus der Sarg gestohlen wird, geht es ebenfalls um eine Schock-Dimension bei den Betroffenen, die kaum beschreibbar sein dürfte.
Frankfurt, Peine, Buttenheim - wenn der Sensationsaspekt verblasst, bleiben die Fragen, wie wir mit dem letztendlichen Abschied umgehen, und wie bedeutend dies für uns Lebende ist - hier und jetzt.
Günter Peglau