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Bestatter in Deutschland

Ein unkonventioneller Seiteneinsteiger prägt das Bild eines zeitgemäßen Bestattungsgewerbes

Von Bernd Bruns, postmortal.de
März 1999
 

Fritz Roth, Bestatter aus dem Bergischen
Noch gilt er in der stets behutsam agierenden Branche der Bestatter eher als Außenseiter: Fritz Roth (50) aus dem nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach. Doch manche Berufskollegen betrachten ihn bereits als Vorbild.
Dabei ist Roth ein Seiteneinsteiger: Erst nach zehnjähriger Tätigkeit als Unternehmensberater, entschloß er sich Bestatter zu werden.

Sein progressiver Ansatz, nicht die Toten in das Zentrum des beruflichen Wirkens zu stellen sondern die um sie Trauernden, erzielte bundesweite Zustimmung in den Medien. Auch seine Konzeption, im eigenen freundlich gestalteten “Haus der menschlichen Begleitung”, fernab von der trostlosen Atmosphäre herkömmlicher Leichenhallen, den Hinterbliebenen einen für sie hilfreichen ausgiebigen Abschied vom Verstorbenen zu ermöglichen, fand inzwischen Nachahmer in der Branche.
 
Zu seinen Klienten zählen 50jährige Angehörige, die in ihrem Leben nie eine richtige Leiche gesehen haben. Menschen, die den Tod nur im TV “erlebten” und bei denen irrationale Ängste nicht selten Fluchtreflexe vor dem Anblick Aufgebahrter auslösen. Kinder, so hat der bekannte Bestatter beobachtet, sind in der Begegnung mit Toten wesentlich unbefangener. Roth, der weiß, wie wichtig es für die Trauerbewältigung ist, ausgiebig Abschied vom Verstorbenen zu nehmen, wirkt wie eine Art Katalysator, der die Angehörigen mit ihren Ängsten an die Hand nimmt und ihnen den Kontakt mit der kalten Leiche ermöglicht. Ist so die erste Scheu überwunden, erweist sich die Begegnung mit dem Toten als nachhaltige  Bereicherung der Besucher.

Private Trauerhalle

Abschied im Haus...

Bei der Aufbahrung  vermeidet der fortschrittliche Bestatter bewußt, die natürlichen Leichenflecken mit Kosmetik zu kaschieren oder Menschen postmortal, wie in Amerika, als angemalte Puppen zu präsentieren. Es ist sein Anliegen, daß die Angehörigen zum Abschied den Tod sinnlich und real wahrnehmen. Von Ausnahmen abgesehen, etwa bei prämortal verabreichten starken Medikamenten, gehören dazu auch die todestypischen Wahrnehmungen der Nase, an die man sich aber “schnell gewöhnt”. Auch die weit verbreitete wie völlig irrationale Angst vor dem angeblich gefährlichen “Leichengift” vermag Roth inzwischen mit Routine  zu relativieren

Eine Konservierung der Leiche, die zunehmend auch in Deutschland gern teuer verkauft wird, lehnt er ausdrücklich ab. Den Thanatologen, die sich in  Lehrgängen, vorzugsweise im Ausland, die Technik angeeignet haben, dem Leichnam die Flüssigkeit zu entziehen um sie durch Formalin zu ersetzen, wird solche Haltung wenig gefallen. “Modern Embalming”, wie diese Technik neudeutsch heißt, ist bei dem modernen Roth offenbar nicht “in”.

Abschiedsraum

...der menschlichen Begleitung

Selbst Leichenwäsche, wie sie in vielfältigen Farben und Ausführungen branchenüblich angeboten wird, mag Diplom-Kaufmann Roth nur ungern verkaufen. Er rät den Hinterbliebenen,  stattdessen die normale Kleidung des Verstorbenen aus dem Schrank zu holen. Es darf durchaus auch “Räuberzivil” sein, in dem sich der Verstorbene zu Lebzeiten wohlfühlte.  Schließlich ermuntert er die Angehörigen noch, sich am Ankleiden des Toten aktiv zu beteiligen. Das Angebot wird immer öfter dankbar angenommen. Der  Bestatter aus dem Bergischen befürwortet auch, daß  die Hinterbliebenen  beispielsweise eine Flasche Bier als Beigabe neben die Leiche legen.

Eigentlich aber ist Roth ein spezialisierter Archeologe in Sachen Bestattungs- und Trauerkultur. Er orientiert sich an dem ehemals natürlichen Umgang mit dem Tod in vergangenen Generationen. Damals bestimmten noch die Bürger mit ihren gefestigten  sozialen Bindungen die heilsamen und kraftvollen Rituale nach dem Sterben.

“Wir lassen uns die Toten stehlen!”

Heute (und insbesondere hierzulande!) verfügen leider kleinliche Bürokraten bis ins kleinste Detail, was am Ende - und selbst danach - zu tun oder auch zu lassen ist. Das Ergebnis dieser Reglementierungswut ist beispielhaft in einer einmalig eintönigen neudeutschen Friedhofskultur zu beobachten, die jede Kreativität bereits im Keim erstickt. “Steinwüsten” nennt Roth denn auch diese amtlich verordnete uniforme Gestaltung deutscher Gräber.

Solche einschneidenden technokratischen Fehlentwicklungen haben Folgen, die der Hamburger Fachautor Norbert Fischer,  mit wissenschaftlicher Diktion,  zutreffend als die “Enteignung des Todes” definiert. Bei Roth führen diese Realitäten zum gleichfalls richtigen Resümee: “Wir lassen uns die Toten stehlen!” Der Dieb, keine Frage, das ist unser aller Staat, der in diesem Bereich mit vielen unsinnigen Bestimmungen die totale Bevormundung seiner Bürger betreibt. Aber, so verkündete Roth - mit einem weisen Lächeln - jüngst, in einer Fernsehsendung bei Fliege: “Der Tod ist der Lehrmeister des bürgerlichen Ungehorsams”.

Der rührige Roth hat für den zukünftigen Umgang mit Tod und Trauer schon konkrete Visionen: Er denkt an die Einrichtung einer “Trauerhospiz”, in der alle mit dem Tod Befaßten eng zusammen arbeiten.  Vorerst gründete er aber schon mal alleine eine private Trauerakademie.

Zusammen mit der freien Journalistin Sabine Bode hat Roth jetzt auch ein Buch geschrieben: “Der Trauer eine Heimat geben”, erschienen im Gustav Lübbe Verlag. Es wird berichtet von den ergreifenden Erfahrungen in seinem “Haus der menschlichen Begleitung”. Das Buch zu lesen ist ein Gewinn.

rothhaus

Fernab von der trostlosen Atmosphäre herkömmlicher Leichenhallen:
Das Haus der menschlichen Begleitung in Bergisch Gladbach

Interview im September 2002 mit Fritz Roth  (MP3-Datei)

Top of page

Zur Diskussion im Bestattungsgewerbe:
Fritz Roth im Originaltext
(Hervorhebungen in Fettschrift und Farbe durch die Redaktion postmortal.de)

Quelle: Trauerakademie Fritz Roth

Ist unser Umgang mit Tod und Trauer überhaupt noch zeitgemäß?

Angesicht des oft unnatürlichen Verhaltens bei Sterben und Tod in unsere Gesellschaft, möchte ich im folgenden einige Anregungen zu einer neuen Trauerkultur geben.


Solange ein Mensch lebt, sollte ihm die höchstmögliche Zuwendung und Achtsamkeit seines Umfeldes zuteil werden. Mit dem Tod des Menschen ändert sich dies aber: Einem Toten kann man materiell nichts Gutes mehr tun. Man sollte seinen Körper menschenwürdig, respektvoll und seinem Leben entsprechend bestatten.

 Fritz Roth: “In der Bestattungs-
 branche ist ein radikales Umden-
 ken erforderlich.”
               
Foto: Bernd Bruns, postmortal.de

 Spirituell und durch Gedenken kann man ihm jedoch noch sehr viel zukommen lassen. Doch hierzu benötigen die Trauernden Raum, Zeit und Erlaubnis. Deshalb brauchen die Trauernden in dieser schweren Zeit des Abschieds eine menschenwürdige und respektvolle Begleitung vor allem durch diejenigen, die an der Schnittstelle zwischen Leben und Tod arbeiten, wie z. Bsp. Mediziner, Theologen, Pflegepersonal, Polizei- und Feuerwehrbedienstete und ganz besonders Bestatter.

Die Realität in Deutschland bedarf hierzu jedoch noch umfangreicher Aus- und Weiterbildung. So haben etwa die wenigsten Mediziner und Theologen während ihrer Ausbildung den Umgang mit Tod und Hinterbliebenen gelernt. Wie überbringe ich als Polizist eine Todesbotschaft? Wie gehe ich als Feuerwehrmann mit dem Anblick und der Bergung von zerfetzten menschlichen Körpern z. Bsp. bei Zugkatastrophen um?


Ganz besonders überdenkenswürdig ist der Umgang mit dem Tod und den Hinterbliebenen in vielen konventionellen Bestattungshäusern. Oft fehlen Bemühungen und Gedanken, wie man den Angehörigen zu einem persönlichen Abschied verhilft. Die Beerdigungen sind genormt und leider oft genug auch lieb- und somit gleichzeitig auch leblos. Alles dreht sich um den Toten. Gehandelt und besprochen wird “tote Ware”, wie z. Bsp. Leiche, Sarg, Sargdecke, Totenhemd, Todesanzeige, Ausstattung der Kapelle usw.

Bezeichnend ist hier auch der in der Branche oft verwendete Begriff “ortsübliche Bestattung”, wenn Hinterbliebene nach dem “Wie?” einer Bestattung fragen. Hinterbliebene werden regelrecht mundtot gemacht, wenn der Bestatter seine Leistungen vorstellt. So gut wie alles wird ihnen aus der Hand genommen - sogar der Tote selbst.

Zeit, Raum und Erlaubnis für persönliche Wünsche, kreative Ideen, um den Abschied im wahrsten Sinne des Wortes “begreifbarer” zu machen, oder gar persönliche Ansprache, die über die üblichen Floskeln hinausgehen, finden im Beratungsgespräch eines “ortsüblichen Bestatters”  wenig Platz. Und dabei ist gerade der Bestatter derjenige, - vielleicht in der derzeitigen Gesellschaftsordnung auch der einzige - dessen Verhalten entscheidend die vorhandene Trauerfähigkeit der Hinterbliebenen aufdecken, dazu ermutigen und in Gang setzen kann.

Die Zeit zwischen dem unmittelbaren Todeszeitpunkt und dem endgültigen Weggeben des Verstorbenen ist für die Hinterbliebenen das Fundament für eine spätere natürliche Trauerarbeit. Hier kommt in unserer heutigen Gesellschaft dem Bestatter eine besondere Verantwortung zu, die aber nicht mit dem bisherigen Berufsbild wahrgenommen werden kann.

Damit diese besondere Verantwortung auch angenommen werden kann, ist nicht nur in der Bestattungsbranche ein radikales Umdenken notwendig. Dieses Umdenken sollte vor allem zwei Ziele verfolgen: Erstens dürfen der Tod und die Trauernden nicht länger nur als Ware bzw. “konsumorientiert” verstanden und behandelt werden, und zweitens muß die gefühlsmäßige Ebene, die mit Tod und Trauer verbunden ist, enttabuisiert und somit als Normalität und zutiefst Menschliches begriffen werden. Sterben, Tod und Trauer muß wieder Gegenstand unseres täglichen Lebens werden und in “Lebensräumen” wieder erfahrbar sein und zurückgeholt werden
.

Die Realität des Todes begreifbar machen

Spätestens der Zeitpunkt des Todes ist der Moment, wo der Trauernde aktiv in den Trauerprozess integriert werden sollte, damit eine natürliche und für den weiteren Lebensweg erfolgreiche Nachsorge beginnen kann. Mit dem Tod eines Menschen ändert sich das Leben der Hinterbliebenen einschneident. Die Endgültigkeit und die Realität des Todes müssen für die Angehörigen im wahrsten Sinne des Wortes “begreifbar” werden.

Dazu brauchen sie den Toten. Den Toten zu fühlen und zu riechen, zu sehen, wie sich der Tote verändert, ist wichtig, ja überlebenswichtig für den Hinterbliebenen. Selbst wenn die Umstände des Todes zu einer Verstümmelung des Toten geführt haben, kann es angeraten sein, den Hinterbliebenen zu einer Abschiednahme zu ermutigen, damit er den geliebten Menschen als jetzt toten Menschen identifizieren und annehmen kann.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die häufig von Freunden, Helfern und Bestattern verwendete Empfehlung: “Behalten Sie den Verstorbenen besser so in Erinnerung, wie er zu Lebzeiten war!” zutiefst unmenschlich und trauerfeindlich ist. Denn nur über die Wahrnehmung des in seiner Vergänglichkeit befindlichen Körpers, kann ich die unsterbliche Komponente des menschlichen Seins erkennen und das Vergängliche von ihm beerdigen.

Auch die immer mehr verbreitete Praxis der Thanatologen, - Tote in einen für die Angehörigen “betrachtungswürdigen” Anblick herzurichten - ist kaum geeignet, die Realität des Todes begreifbar zu machen. Eine “schön gemachte Leiche” ist einem natürlichen und heilsamen Abschiedsprozeß nicht dienlich. Darüber hinaus ist der Eingriff und nachträgliche chemische Veränderung eines toten Körpers für mich aus ethischer Sicht sehr bedenklich.

Wenn Hinterbliebene äußern, daß der Tote so friedlich und schön dagelegen habe, gerade so, als ob er schliefe, kann dies schon der Grundstein für eine spätere Verleugnung des Todes sein. Tote schlafen nicht. Der Schlaf ist etwas lebendiges, lebensnot-wendiges. Daher ist es für eine gelungene Nachsorge wichtig, dem Hinterbliebenen den Tod als Zerfalls-prozeß bewußt zu machen. Das heißt, daß der Tote und die Veränderungen an der Leiche bis zur Beerdigung für den Hinterbliebenen erfahrbar, begreifbar und sichtbar bleiben sollten. Das bedeutet gleichzeitig, daß hier auch ein Umdenken vieler Bestatter vonnöten ist.

In einigen Bestattungshäusern wurden Räumlichkeiten geschaffen, die es dem Angehörigen ermöglichen, in einer vertrauten, angenehmen und nicht sakralen Atmosphäre in aller Ruhe Abschied von dem geliebten Menschen zu nehmen und sich so der Realität des Todes auf einer individuellen Art bewußt zu werden.

Die Bedeutung der Räume des Abschieds

Im “Haus der menschlichen Begleitung” in Bergisch Gladbach können die Hinterbliebenen im Angesicht des Todes ihrer Trauer begegnen, ihr Raum geben und diese Trauerräume nach eigenen Wünschen gestalten. Hier wird betroffenen Menschen Raum, Zeit, Zuwendung und die Erlaubnis gegeben, sich das Unfaßbare eines endgültigen Abschieds individuell Schritt für Schritt begreifbar zu machen, z. B. durch bewußte Berührung des erkalteten Toten, unverfälschte Wahrnehmung des Geruchs und des Aussehens des Verstorbenen.

Die Räume des Abschieds wurden nach überlegten Konzepten eingerichtet. So wurde das Haus nur in warmen Farben ausgelegt. Die Räume mit vertrautem Interieur ausgestattet, mit Möbel, in die ich mich fallen lassen kann und die mich auffangen. Die Kunst ist in den Räumen zu Hause, sei es als gegenständliche oder moderne Malerei und Plastik, sei es in Form von kleinen, handlichen und begreifbaren Skulpturen. Die Fenster aller Räume, in denen sich Trauernde aufhalten, haben keine Gardinen. Die direkte Wahrnehmung der sich im Wandel befindenen Natur ist bewußter Bestandteil der Unternehmens-philosophie: die Natur als verläßlicher Begleiter durch die Trauer und gleichzeitig Vermittler eines bewußteren Lebensgefühl. Deshalb kommt auch der Außengestaltung dieses Hauses eine besondere Aufmerksamkeit zu, z. Bsp. Brunnen, Vogelhäuser, Windspiel, Meditationsbereiche etc.

Fast alles ist im “Haus der menschlichen Begleitung” erlaubt und sogar erwünscht, was dazu beiträgt, mit der Realität des Todes weiterleben zu können. Die Angehörigen werden ermutigt, mit oder ohne Hilfe des Bestattungspersonals, ihre Toten selbst mit persönlicher Kleidung anzukleiden. Selbst das eigene Bettzeug kann dem Toten mit in den Sarg gegeben werden. Särge dürfen selbst erstellt, bemalt oder mit Bildern und Fotos beklebt werden. Auch die Jahrtausende alte Tradition der Grabbeigaben erfährt hier eine Renaissance. Angehörige dürfen ihrem Toten etwas mitgeben, was in seinem Leben Bedeutung hatte oder was der Zurückbleibende ihm auf seine Reise mitgeben möchte. Der Sarg und die Urne darf von Verwandten, Freunden oder Nachbarn - aus vertrauten Händen- in die Erde gelegt werden.

All` diese Dinge erscheinen wenig spektakulär. Im Gegenteil, es sind vertraute Rituale aus vergangenen Tagen, die im “Hause der menschlichen Begleitung” wieder entdeckt und -belebt werden und den Grundstein dafür legen, daß die Hinterbliebenen das große kreative Potential eines gesunden und heilenden Trauerprozesses für sich wieder entdecken und erleben können. Die Begegnung mit dem konkreten, realen Tod ist der erste und entscheidende Schritt dorthin.

Immer mehr zeigt die Erfahrung, daß die Angehörigen lieber einen ange- messenen Preis für eine einfühlsame Begleitung und die Wahrnehmung entsprechender Abschiedsmöglichkeiten zahlen, als für einen teuren Sarg, der in der Erde verschwindet und wie die sterbliche Hülle des Toten dem Verfall anheim liegt. Deshalb ist es notwendig, daß solche Vorbilder in der Bestattungsbranche genügend ernst zunehmende und verantwortungs- bewußte Nachahmer finden und das es gelingt, Trauernde davon zu über- zeugen, daß sie sich mit einem konkreten Abschied etwas Gutes für ihr weiteres Leben tun.

Trauer braucht Gemeinschaft

Das, was den Toten als Lebenden im Guten aber auch im Bösen ausgemacht hat, - wir bezeichnen es in der christlichen Kultur als “Seele”: seine Wertvorstellungen, seine Ideale - können dem Hinterbliebenen als Basis und Antriebskraft für sein neu zu gestaltendes Leben dienen. Leider ist es für viele Trauernde unmöglich, sich wahrhaftig mit der Person des Toten und seinem Einfluß auf das Leben der Hinterbliebenen auseinanderzusetzen.

Zum einen fehlen meist geeignete Gesprächspartner, zum anderen zwingen gesellschaftliche Normen und Zwänge dem Trauernden ein Gefühlskorsett auf, in dem durchaus normale Trauergefühle wie Wut, Orientierungslosigkeit, Todessehnsucht u. ä. keinen Platz haben und darüber hinaus als krankhaftes Verhalten angesehen werden. Außerdem ist die von der Gesellschaft tolerierte Zeit des Trauerns viel zu kurz. Schon recht bald nach der Bestattung wird von dem Trauernden erwartet, daß er zur Tagesordnung zurückkehrt - meist gerade dann, wenn diesem die Bedeutung seines Verlustes erst richtig zu Bewußtsein kommt. Trauer aber will gehört, gesehen und gestaltet werden. Trauer braucht Zeit, Ausdruck, Vertrauen und Gemeinschaft.

Deshalb bieten wir seit vielen Jahren Trauergesprächskreise an, die es trauernden Menschen ermöglichen, mit anderen Betroffenen in Kontakt zu treten, Erfahrungen auszutauschen, Zuhörer, Trost, Bestätigung und Ermutigung zu finden und neue Beziehungen zu knüpfen. Diese Angebote werden zunehmend auch in kirchlichen Einrichtungen und im Rahmen der Hospizbewegung angeboten. Professionelle Trauerbegleiter sind in Deutschland eher rar, zumal es auch an geeigneten Ausbildungsrichtlinien fehlt. Hier zeigt sich auch das Problem der sog. “Trauerszene”: Die meisten Trauerbegleiter (überwiegend Frauen) arbeiten ehrenamtlich. Kaum jemand traut sich, für seine Tätigkeit ein entsprechendes Honorar zu verlangen, aus Angst, man könnte ihm vorwerfen, die Notlage der Trauernden auszunutzen oder in Konkurrenz mit den kirchlichen Institutionen oder Psychologen treten zu wollen. In den Köpfen dagegen herrscht oft die Auffassung, daß etwas, das nichts kostet, auch nichts wert ist.

Hierin liegt die Zwiespältigkeit des Berufsbildes “Trauerbegleiter”. Trauerarbeit ist harte Arbeit - und in jedem anderen Beruf wird man für seine Arbeit entsprechend bezahlt. Hier bleibt also noch viel zu tun: Trauerbegleiter müssen ein neues Selbstbewußtsein entwickeln. Unsere Gesellschaft muß hierfür entsprechend sensibilisiert werden. Solange z.B. eine Witwe wegen ihrer durch den Trauerfall ausgelösten diffusen körperlichen und seelischen Symptome von ihrem ratlosen Hausarzt an den nächsten Psychologen überwiesen wird, solange wird die überlebensnotwendige und heilende Wirkung von Trauerprozessen von einem Großteil unserer Gesellschaft nicht erkannt und akzeptiert werden.

Trauer ist keine Krankheit. Sie braucht aber Solidarität in der Gesellschaft - diese kann nur erreicht werden, wenn alle, die an der Schnittstelle von Leben und Tod arbeiten sich vernetzen und wirtschaftliche Interessen und unange- brachtes Konkurrenzdenken in den Hintergrund treten.

Neue Wege in der Trauernachsorge

In einer Gesellschaft, die fast ausschließlich konsumorientiert lebt, in der Themen wie Krankheit, Sterben, Tod und Trauer nur hinter verschlossenen Türen gelebt werden können, ist es für einen trauernden Hinterbliebenen doppelt schwer, sich an seinen neuen gesellschaftlichen Status zu gewöhnen. Was bedeutet es zum Beispiel Witwe zu sein? Welche gesellschaftlichen Einschränkungen bringt eine Witwenschaft mit sich?

In der ersten Zeit nach dem Trauerfall erfährt der Trauernde viel Aufmerksamkeit seitens der Familie, der Freunde und der Nachbarschaft.. Viele kümmern sich, versuchen ihn zu trösten und ihn von seinen düsteren Gedanken abzulenken. Doch dann geschieht etwas höchst Seltsames: Nach wenigen Wochen verliert das Umfeld die Geduld mit ihm. Phrasen, wie “Jetzt hast Du aber genug getrauert, das Leben geht weiter” oder “Tu doch mal etwas, lenk dich ab, und sitz nicht ewig nur heulend zu Hause herum”, “Fahre doch mal weg, erhole Dich” stürzen auf ihn ein. Oft fängt in dieser Zeit der Betroffene erst an, sich der Schwere und der Bedeutung seines Verlustes bewußt zu werden. Um seinem Umfeld nicht zur Last zu fallen, läßt er sich überreden, z. B. in Urlaub zu fahren. Vielleicht sogar mit Freunden.

Doch der Trauernde, besonders Frauen, fühlt sich oft als fünftes Rad am Wagen und spürt instinktiv, daß seine Trauer, die er natürlich mitgebracht hat, die Nichtbetroffenen stört. Der Umgang mit fröhlichen Menschen fällt ihm in seiner Situation schwer, erinnern sie ihn doch um so mehr an den erlittenen Verlust. Und die ohnehin schon große Einsamkeit wird inmitten des fröhlichen Umfeldes noch unerträglicher für ihn. Anstatt sich seinen Bedürfnissen entsprechend zu erholen, vergeudet er seine wenigen Kraftreserven damit, sich zusammenzunehmen, um den anderen nicht die Urlaubsfreuden zu verderben.

“TrauDichReisen - Urlaub für trauernde Menschen” hat diese oben geschilderten, oft gehörten Erfahrungen in ein völlig neues Konzept der Trauerbegleitung umgesetzt: In meist ein- bis zweiwöchigen Seminaren bietet “TrauDichReisen” kleinen Gruppen von Betroffenen an ausgewählten Urlaubsorten im In- und Ausland die Möglichkeit, ihrer Trauer zu begegnen, sie auszudrücken und zu gestalten, damit die Wunde, die der Verlust gerissen hat, zu heilen anfangen und das seelische Gleichgewicht wieder hergestellt werden kann.

Neben der “Trauerarbeit” wird Wert auf Erholung, Entspannung und Lebensfreude gelegt. Die kleine Reisegesellschaft wird während des gesamten Aufenthaltes begleitet und betreut, wenn es notwendig wird, auch rund um die Uhr. Die Betroffenen werden auf einer solchen Reise motiviert, ihre eigenen Fähigkeiten zu entdecken und kreativ für ihren Trauerprozeß zu nutzen. Tränen der Verzweiflung, aber auch Tränen der Freude sind dabei jederzeit und überall willkommen - erregen sie doch nicht das Mißfallen der anderen Reiseteilnehmer. Auf einer solchen Reise wird Trauernden ein hohes Maß an Zuwendung, Aufmerksamkeit und Verständnis zuteil - Balsam für die durch den Verlust verletzte Seele. Die auf einer solchen Reise geknüpften Freundschaften helfen den Betroffenen, ihre Trauerzeit gut zu überstehen und ihre Zukunft lebensbejahend zu gestalten
.

Die intensive Beschäftigung mit der Trauer als Lebensgefühl und Lebensperspektive kann in uns ein enormes Maß an Kreativität und Lebensfreude offenlegen und freisetzen. Es bleibt zu hoffen, daß sich in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen trauen, sich auf den Weg zu machen, diese Kreativität in sich zu entdecken und als Bereicherung ihres Lebens anzunehmen. Hierzu benötigen sie jedoch Begleiter, die ihnen Mut machen all dies zu entdecken.

Bergisch Gladbach, im Januar 2000

Fritz Roth


Zur Anregung einer Fachdiskussion folgende redaktionelle Anmerkung:

Roth`s These

Auch die immer mehr verbreitete Praxis der Thanatologen, - Tote in einen für die Angehörigen “betrachtungswürdigen” Anblick herzurichten - ist kaum geeignet, die Realität des Todes begreifbar zu machen. Eine “schön gemachte Leiche” ist einem natürlichen und heilsamen Abschiedsprozeß nicht dienlich. Darüber hinaus ist der Eingriff und nachträgliche chemische Veränderung eines toten Körpers für mich aus ethischer Sicht sehr bedenklich.

kann - angesichts der gegenwärtigen Realitäten - in ihrer Rigidität nicht befriedigen. Sein richtiger Ansatz, die Hinterbliebenen an die Leichen ihrer verstorbenen Lieben heran zu führen - was bekanntlich in der Praxis schon mit der Überwindung erheblicher Hemmschwellen verbunden ist - wird durch seine zitierte Meinung unnötig erschwert. Auch hier müßte gelten, daß die Wünsche und insbesondere auch die Belastbarkeit der Angehörigen, die sich bekanntlich ohnehin in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden, individuell vom Bestatter berücksichtigt werden sollten.  Die  Thanatologie - behutsam eingesetzt - kann nämlich in besonderen Fällen durchaus hilfreich sein.

Roth´s richtige Absicht, die “Realität des Todes begreifbar zu machen” muß nicht zwangsläufig mit der Präsentation entstellter Unfalltoter verbunden sein, deren Anblick bisweilen selbst gestandenen Feuerwehrleuten an die Nieren geht. Und das, obwohl diese nicht in einer persönlichen - emotionalen - Beziehung zum Toten stehen, wie die trauernden Angehörigen.

Auch kann es im Einzelfall bei der Aufbahrung geboten sein, die für die Angehörigen zusätzlich belastende Geruchsbildung durch den Einsatz chemischer Mittel zu reduzieren ohne das richtige Ziel, die Wahrnehmung der Realität des Todes zu gefährden. Auch hier sollten die Trauernden mit ihrer individuellen Belastbarkeit und nicht die Toten im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Die richtige Erkenntnis, “den Toten kann man nichts Gutes mehr tun” bedeutet im Umkehrschluß allerdings auch, daß man ihnen auch nichts “Schädliches” (beispielsweise durch den nicht grundsätzlich unethischen Einsatz chemischer Mittel) mehr antun kann.

Kann hier bei der ethischen Bewertung nicht auch von der berechtigten Vermutung ausgegangen werden, daß es der Wille des Verstorbenen war, seinen geliebten Angehörigen den persönlichen Abschied am Sarg nicht unnötig schwer zu machen?

Vor dem Hintergrund dieser Fragen hat postmortal.de eine Stellungnahme des Verbandes Dienstleistender Thanatologen e. V., Münster VDT eingeholt. Dies nicht, um zu polarisieren, sondern um auch andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen und zur Annäherung der divergierenden Positionen beizutragen. Denn die fortschrittlichen und engagierten Thanatologen des VDT stehen nach den Erkenntnissen von postmortal.de ansonsten Roths richtigen Ansätzen weitaus näher als die überwiegend konservative Mitgliedschaft des großen Bundesverbandes aus Düsseldorf.

Hier die Stellungnahme des VDT:

Im Mittelpunkt einer jeden Trauerbewältigung steht die bewußte Wahrnehmung des erlittenen Verlustes. Trauerbegleiter und Therapeuten sind sich darüber einig, daß eine Auseinandersetzung mit dem Tod notwendig ist, und damit die Bewältigung der Trauer erfolgen kann.  Durch eine Aufbahrung mittels verschlossenen Sarges, werden die zur Wahrnehmung des Todes und der Bewältigung der Trauer notwendigen Funktionen lahmgelegt und ihre Wirkung außer Kraft gesetzt.

Eine derartige Vorgehensweise ist den Trauernden wenig hilfreich. Im Gegenteil, wir fügen den Hinterbliebenen möglicherweise seelisches Leid zu und das um so mehr, je sensibler und empfindsamer ein trauernder Mensch veranlagt ist.

In diesem Punkt sind wir mit Herrn Roth einer Meinung. Es ist auch unser Anliegen, daß die Angehörigen am offenen Sarg Abschied nehmen können. Dazu sollte der Verstorbene ein dem Leben ähnliches Aussehen haben. Er darf  vom Tod gezeichnet sein und die Zeichen eines längeren Leidens- und Sterbensprozess werden auch durch eine präventive Behandlung durch einen Thanatologen nicht verschwinden. Diese dürfen bleiben! Auch wenn noch Verletzungen durch einen Unfall sichtbar sind. Die Angehörigen wissen es und werden vom Bestatter darauf vorbereitet. Die offenen Wunden kann der Thanatologe behandeln damit die Angehörigen nicht erschrecken und zurückweichen.

Weniger ist mehr!

Da jeder Verstorbene anders ist wird sich jeder Thanatologe, bevor er einen Verstorbenen für eine Aufbahrung herrichtet, gut überlegen was er für nötig hält zu tun. Es reicht manchmal “nur” die Hygienische Versorgung, das Waschen, verschließen der Körperöffnungen - besonders das korrekte verschließen des Mundes - und das Ankleiden. Oft reicht es aber nicht aus.

Während des Lebens verhindern die natürlichen Abwehrkräfte des Menschen die Ausbreitung von Mikroorganismen im Körper. Nach dem Tode überleben diese Mikororganismen, vermehren sich und verursachen eine Veränderung des Leichnahms, die zu den unangenehmen Begleiterscheinungen führt, die eine offene Aufbahrung bei ungünstigen Vorraussetzungen unmöglich macht.

Wie ist es, wenn der Zustand des Verstorbenen nicht so gut ist? Wie z.B. nach einer Operation mit noch offenen Stellen, oder durch eine längere Liegezeit des Verstorbenen bei Zimmertemperatur, bei einer Hausaufbahrung im Sommer, bei einer Aufbahrung auf dem Friedhof ohne Kühlung, durch sehr hohe Medikamentendosen, durch eine Krankheit die das Aussehen schnell verändert, durch einen Unfall mit z.B. abgerissenen Gleidmaßen und offenen Wunden oder durch eine Obduktion? In solchen Fällen wird es mit dem “normalen” Aufbahren schon eng.

Es kann unter ungünstigen Umständen passieren, daß aus den Köperöffnungen  Flüssikeiten austreten, der Druck im Bauchraum stark ansteigt. Das sind gerade bei wärmeren Außentemperaturen für die Bestatter der erste Grund den Sarg zu schließen. Ohne eine präventive Behandlung können diese, durch Mikroorganismen hervorgerufenen Veränderungen des Verstorbenen, nicht beseitigt werden. Viele bekämpfen nur die Wirkung (Geruch und Flüssigkeit). Doch die Ursache bleibt. Der Thanatologe kennt die Ursache und kann helfen. Es ist oft eine Aufbahrung nach einer frühzeitigen Behandlung noch möglich.

Durch die Injektion einer präventiven Flüssigkeit in das Ateriensystem, die nicht nur bakterientötend wirkt, sondern außerdem ein aseptisches Milieu schafft, wird bewirkt, daß die Begleiterscheinungen während der Aufbahrung nicht auftreten. Die Konzentration der Flüssigkeit wird individuell angepaßt. Berücksichtigt werden der Zustand des Körpers, die Umgebung der Aufbahrung und die Länge der Aufbahrung oder Überführung bis zur Beisetzung.

Eine offene Aufbahrung ist bis zum Bestattungstag auch über einen längeren Zeitraum ohne Einschränkungen möglich. Mit dieser präventiven Behandlung wird nicht beabsichtigt, den Leichnam für die Ewigkeit zu konservieren, sondern ihn bis zur Bestattung in einer dem Verstorbenen würdigen Weise zu bewahren.

Für die Angehörigen ist das letzte Bild noch immer das Wichtigste.

Verband Dienstleistender Thanatologen e.V., Münster
Johannes Lenert
Pressesprecher
www.lenert.de

(Teilweise Auszüge aus der Broschüre: Der Thanatologe-Wegbereiter für Trauerarbeit / © VDT www.thanatologen.de / Text: H.H. Stokkelaar - www.stokkelaar.de)


 
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