| Die “letzte Reise” Ein sehr persönlicher Bericht von Theo Busch über die Beisetzung seines Vaters in der “Oase der Ewigkeit”
Alle vorbereitenden Formalitäten zur Trauerfeier anlässlich des Todes unseres lieben Vaters waren erledigt, als mein Blick auf ein Plakat hinter dem Rücken des Bestattungsunternehmers fiel, das an der Wand seines Büros angebracht war. Darauf wurde für Seebestattungen geworben. Meine Bemerkung, dass meinem Vater die Berge eher gelegen hätten, ansonsten aber diese Art der Bestattung schon etwas für ihn gewesen
wäre, machte meinen Gesprächspartner stutzig und nach kurzem Nachdenken griff er in eine seiner Schreibtischschubladen und legte mir einen Prospekt mit dem Kommentar “da habe ich vielleicht etwas für sie”, vor. “Oase der Ewigkeit” laß ich. “Naturbestattung in den Schweizer Bergen”. Bei näherem Hinsehen stellte ich fest, dass sich diese Oase in einem Seitental des Rhonetals im Schweizer Kanton Wallis befindet, wo ich mit meinen Eltern und Geschwistern in den 50er Jahren mehrere
Urlaube verbracht hatte. Sofort kamen Erinnerungen hoch, an die Erdpyramiden von Euseigne, die Baustelle der Talsperre La Grande Dixense, die verschneiten Gipfel des über 4000 Meter hohen Matterhorns, des Monte Rosa und des Montblancs. Wie wir 1958 im VW-Käfer zum Camping nach Brigerbad fuhren und genau in diesem Tal bei einem Bergbauern unser Obst kauften. Ein altes Dia zeigt meinen Bruder, meine Schwester und mich mit dem Esel des Bergbauern, der
normalerweise die Obstkisten die steilen Pfade hoch schleppte.Meine Gedanken rasten. In seiner bescheidenen Art hatte mein Vater angeregt, dass er verbrannt und in einer einfachen Urne an einer schlichten Urnenwand beigesetzt werden sollte. Nach Ablauf der Grabruhe unserer Mutter, also in 2 Jahren, sollte ihre Urne auch in dieser Urnenwand beigesetzt werden. Beim Versuch diesen Wunsch zu erfüllen, stießen wir auf nahezu
unüberwindliche bürokratische Hürden, da mein Vater zum Zeitpunkt seines Todes nicht in der Gemeinde gemeldet war, in der sich das Grab meiner Mutter befindet. Ein Familienrat wurde einberufen. Wir waren uns sehr schnell einig, dass er, hätte er die Möglichkeit gekannt, mit uns einig gewesen wäre, dort zur Ruhe gebettet zu werden, wo uns viele gemeinsame Erinnerungen verbinden. Aus gesundheitlichen Gründen hatte er in den letzten Jahren leider nicht mehr in seine geliebten Berge
reisen können. Wir beschlossen also, ihm zu dieser “letzten” Reise zu verhelfen.Samstag, der 31. Mai sollte der Tag der Bestattung sein. Schon Tage vorher reisten die Kinder, Ehegatten, Partner, Enkel und Urenkel aus allen Himmelsrichtungen an. Im Haus eines Freundes der Familie fanden
wir gemeinsam Unterschlupf. Für mich war es nach Jahrzehnten wieder die erste Reise ins Wallis. Schon als Kind hatte mich die Mächtigkeit der schweizerischen Bergwelt beeindruckt. So auch dieses Mal wieder. Über Zürich, Bern, Lötschbergtunnel Autoverladung und nach einer kurzen Fahrt durchs Rhonetal erreichten wir unser Ziel bei wolkenlosem Himmel und 25 Grad. Da mein Vater schon zu Beginn des Jahres verstorben
war, hatte die unmittelbare Trauer um ihn schon einem angenehmen Gefühl schöner Erinnerungen Platz gemacht. In gelöster Atmosphäre verbrachten wir im Kreis der Familie einen gemeinsamen Abend und brachen am nächsten Morgen ins Val `d Hèrens, in den kleinen Ort Riod auf. Nach einem Besuch der Erdpyramiden von Euseigne und dem Mittagessen holt uns der Bestatter ab und führt uns zu einer wunderschön gelegenen Almwiese.
Von dort oben blickt man nach Norden auf das Wildhorn, zwischen den Skigebieten von Les Diablerets und Crans Montana gelegen und die Ausläufer der Jungfrauregion. Richtung Osten im Tal erkennt man die Erdpyramiden von Euseigne und im Süden am Talende den Staudamm La Grande Dixance. Die naturbelassene Wiese quillt über von bunten Bergblumen. Vereinzelte kleinere Bäume deuten auf schon bestehende Grabstellen hin.
Keine Kreuze, Gedenksteine oder
ähnliches stören die natürliche Umgebung. Die Urne mit der Asche unseres Vaters, die sich schon in Obhut des schweizerischen Bestatters befunden hat, wird gemeinsam zu dem von uns allen ausgesuchten Platz für den jungen Bergahorn unseres Vaters getragen.
Gemeinsam heben wir Erde aus, um das Bäumchen einzupflanzen. Die
Asche unseres Vaters wird eingestreut, der Urnenstein und der Verlobungsring unserer Mutter mit etwas Erde von ihrem Grab dazu gelegt und der Baum darüber gepflanzt. Nach einer kurzen Ansprache des Bestatters und einem gemeinsamen Gebet ist der “offizielle” Teil der Bestattung abgeschlossen. Wir verbringen noch eine weitere Stunde an diesem wunderschönen Fleck Erde und genießen die Umgebung und dieses friedliche Gefühl des Abschieds. Ein wirklich einzigartiges Erlebnis.
Mein Entschluss steht fest. Auch meine “letzte Reise” soll dort am Fuße unseres Familienbaumes enden. |