| Die Totenruhe im Garten
und der Friedhofszwang Sohn erfüllt Letzten Willen des Vaters / Asche in eigenes Grundstück / Im Strafprozeß zunächst Freispruch KARLSRUHE, 24. April 1981
- Statt der Asche befand sich in der Urne ein Spottgedicht, das der Verstorbene vierzehn Tage vor seinem Tode gereimt hatte: ,,Wenn Ihr meine Asche sucht, / ruft Ihr sicher: ,Ei, verflucht! , / Urne längst schon ist verschwunden, / denn das Grab wurd‘ leer gefunden.” Der Tote behielt recht. Zwar fand sich die Urne später wieder, aber die paar Hände voll Asche, die nach der Feuerbestattung von einem Menschen übrigbleiben, sollten für immer unauffindbar sein. Der Sohn dieses ,,Dichters” — ein ebenso ausgeprägter Individualist wie sein Vater — hatte sie jm Garten der Hamburger Vorstadtvilla zwischen mannshohen Tannenbäumen vergraben. Zehn Autominuten vom nächsten städtischen Friedhof hatte sich so auf eigenem Grund und Boden der Satz ,,Friede seiner Asche” erfüllt. Der Sohn konnte sich dabei als Vollstrecker eines eigenwilligen Letzten Willens fühlen. Denn sein Vater, der schon sechs nahe Familienangehörige heimlich in gleicher Weise und an gleicher Stelle bestattete, hatte zehn Jahre vor seinem Tode mit staunenswerter Hartnäckigkeit vor allen staatlichen Gerichten um diese Form der Beisetzung gekämpft; eine Bestattung, die in unserem Kulturkreis eigentlich nicht heimisch ist.
Schon im Mai 1969 hatte dieser Mann erstmals um Befreiung vom sogenannten Friedhofszwang nachgesucht. Aus alter Verbundenheit mit seinem Garten, dessen Pflege jahrzehntelang seine Freizeit ausgefüllt hatte, wollte er dort im Grünen aufgehen und nicht auf dem Friedhof zwischen Toten liegen, die ihn nichts angehen. Er hoffte dabei auf eine gesetzliche Bestimmung, die eine Ausnahme von der üblichen Bestattung auf dem Friedhof vorsah. Ein solcher Ausnahmefall, so belehrten ihn
damals aber die zuständigen Ämter, sei nicht zu sehen — zumal er, wie es in unnachahmlicher behördlicher Logik hieß, ja noch am Leben sei. Das Hamburger Verwaltungsgericht, wo der Rechtsstreit später dann seinen Ausgang nahm, sah die Dinge weniger ,,eng”. Zwar ging es auch dort den Richtern zu weit, daß die Asche — wie der Vater es ursprünglich gewollt hatte — auf dem Grundstück verstreut werden sollte. Aber sie erlaubten, die Urne mit der Asche im eigenen Garten beizusetzen —
wenn es denn soweit sein sollte —, sozusagen als posthume freie Entfaltung der Persönlichkeit. Es sollte der einzige Prozeßsieg in einem zehnjährigen Rechtsstreit bleiben. Denn weder das Oberverwaltungsgericht noch das Bundesverwaltungsgericht zeigten Verständnis für den Wunsch nach einer individuellen Beisetzung. Unsere moderne Gesellschaft verdränge das Phänomen des Todes immer mehr, sagten die Oberverwaltungsrichter. Und deshalb sahen sie im Friedhofszwang einen guten,
historisch gewachsenen Sinn. In dem Urteil klang zugleich die Besorgnis über mögliche Folgen an, wenn das Hamburger Beispiel Schule machen sollte. Private Grabstätten könnten einer städtebaulichen Entwicklung entgegenstehen, hieß es. Deshalb wolle man nur seltene Ausnahmen vom Friedhofszwang zulassen — nicht aber hier, im Grünen in Hamburg. Auch das Bundesverwaltungsgericht in Berlin befaßte sich vier Jahre später ausführlich mit dem ,,Sterbefall zu Lebzeiten. Die Berliner
Richter sprachen nicht von der Verdrängung des Todes, sondern von der weitverbreiteten Scheu vor dem Tod, die bei dem Anblick von Urnen im Nachbargarten weiter vertieft werden könnte. Gegen das Sittengesetz, so räumten sie ein, verstoße der Wunsch nach privater Bestattung nicht — wohl aber gegen das Friedhofsgesetz, das seinerseits wieder an der Verfassung standhalte. Auch beim Bundesverfassungsgericht holte sich der Kläger, der sich damals noch bester Gesundheit erfreute, eine Abfuhr — wenn
auch immerhin vom ganzen Senat und nicht nur vom weitaus kürzer angebundenen Dreierausschuß. Der Gesetzgeber hat nach Ansicht der Richter in Karlsruhe die Verfassung nicht verletzt, als er sich für den grundsätzlichen Friedhofszwang entschied. Damit war aber der gesamte Prozeß noch nicht zu seiner letzten Ruhe gekommen. Der Mann wandte sich — letztlich erfolglos — auch an die Europäische Menschenrechtskommission in Straßburg. Inzwischen geschah, was stets die dumpfe Begleitmusik
des Rechtsstreits gewesen war: der Kläger verstarb. Sein Sohn, der sich mehr dem Willen des streitbaren Vaters als der Gesetzesauslegung der Gerichte verpflichtet glaubte, tat gerade das, was ihm wortreich verboten worden war. Er grub die Urne aus, trug sie nach Hause, vergrub die Asche im Grundstück und hinterließ die Spottverse auf dem Grabe. Wer den Spott hat, braucht für den Schaden nicht zu sorgen, heißt es. So war es auch hier: Wenige Tage später wurde der Austausch bekannt, die Urne
beschlagnahmt und ein Strafprozeß in Gang gesetzt — wegen Störung der Totenruhe. Das sah der Sohn aber nun ganz und gar nicht ein: denn er hatte ja gerade jene Totenruhe herstellen wollen, von der der Verstorbene zeitlebens geträumt und für die er so lange gekämpft hatte. Bei dem Strafprozeß in Hamburg stieß der Sohn vor kurzem auf einen einfühlsamen Amtsrichter. Der machte ihm zwar klar, was so manch anderer Richter im Laufe der zehn Jahre schon versucht hat, daß er etwas
Unerlaubtes getan habe, als er die Urne ins Grüne entleerte. Aber bestrafen mochte er ihn dennoch nicht. Der Sohn sei bei dieser Form der Beisetzung einem Verbotsirrtum erlegen, meinte der Richter — eine Art Antigone-Komplex als Entschuldigungsgrund. Da die Staatsanwaltschaft Berufung gegen den Freispruch eingelegt hat, ruht der ,,Fall” einstweilen noch nicht in Frieden. Hinter dem Wortlaut des Gesetzes stellen sich Fragen, die vielleicht auch dem Richter — die schriftliche
Begründung des Urteils steht noch aus — durch den Kopf gegangen sein mögen: Wer ist letztlich der ,,Berechtigte”, von dem im Strafgesetzbuch die Rede ist und der die Asche eines Verstorbenen in Gewahrsam haben darf? Und wie soll man wissen, wo hier die Grenze verläuft zwischen Erlaubtem, Verbotenem und Strafbarem? ,,Guten Tag, ich bin die Asche”, soll der exzentrische Vater im Verkehr mit den Behörden bisweilen schmunzelnd gesagt haben. Scherz, Satire, Ironie: der Fall hat
zugleich seine tiefere Bedeutung. Freilich ist es zutreffend, wie die Gerichte dies sahen, daß wir das Phänomen des Todes immer mehr verdrängen. Dies geschieht ja auch mit anderen Phänomenen, die uns schmerzlich daran erinnern, wie dünn der Boden ist, auf dem wir unserer Wege gehen. Natürlich kann ein fremdartiger Totenkult Tabus verletzen. Rührt es aber wirklich an einer Grundangst, einem Tabu, wenn jemand eine Urne — für andere unsichtbar — nicht auf dem Friedhof beisetzt, sondern dort, wo
er zu Lebzeiten seinen Frieden suchte? Seeleute dürfen auf hoher See beigesetzt werden; manch Großer dieser Welt ruht in seinem privaten Mausoleum und auch der eine oder der andere kleine Mann suchte und fand seine letzte Ruhe außerhalb der Mauern eines Friedhofs. Mögen also auch im Tode alle gleich und einige noch gleicher sein: zu guter Letzt bedeckt sie doch alle Erde. |